Die Hure Babylon
hatte, wie sehr sie sich nach ihm sehnte.
Sie hatte ihm verziehen. Das erfüllte ihn mit unbändiger Freude und machte ihn gleichzeitig wütend auf sich selbst. Mehr als zwei Jahre war es nun her. Zwei vergeudete Jahre. Er konnte sich nicht mehr vorstellen, was ihn dazu getrieben hatte, sie zu verlassen. Für was hatte er Vergebung gesucht? Dafür, dass er einen reinen Menschen liebte? Wahre Sünden, ja, einen ganzen Sumpf von Todsünden hatte er erst durchwaten müssen, als er dem Ruf der Priester gefolgt war.
Was zum Teufel tat er also noch in diesem fremden Land? Warum schlug er sich in einem Kampf, der längst nicht der seine war? Warum lag er noch hier in diesem Heerlager, anstatt sofort auf sein Pferd zu steigen und nach Hause zu reiten? Wegen Bertran hatte er sich dem Prinzen angeschlossen. Aber konnte er überhaupt noch etwas für ihn tun? Vor allem tat ihm Beatriz leid, die nie nach Outremer hatte kommen wollen. Er hoffte inständig, die Türken würden sie mit Respekt behandeln.
So hatte er die halbe Nacht gegrübelt, als er mit einem Mal aufgeregte Stimmen hörte, dann einen Schrei. Da musste jemand schlecht geschlafen haben, dachte er und wollte sich auf die Seite drehen. Aber dann war noch ein Aufschrei und ein Stöhnen zu hören. Diesmal aus einer anderen Richtung. Er setzte sich auf und ließ den Brief in der Gürteltasche verschwinden. Die Feuer waren niedergebrannt. Man konnte wenig sehen. Trotzdem war da aufgeregte Bewegung im Lager, überall die Schatten von Männern, die sich von ihren Schlafstätten erhoben. Was war los?
Als er das unmissverständliche Sirren hörte und dumpfe Aufschläge ins Gras, da wusste er, was los war. Er sprang auf, trat Ferran und Jori in die Seite, um sie zu wecken. Weitere Pfeile fielen vom nachtschwarzen Himmel und blieben zitternd im Boden stecken, keine drei Schritte von ihnen entfernt.
»Haltet euch die Schilde über den Kopf. Schnell!«, schrie er. »Die Türken sind da.«
Im ganzen Lager waren jetzt Gebrüll und Schmerzensschreie zu hören. Männer hasteten zu den Waffen, griffen nach Speer und Schild. Zum Glück hatten die meisten ihre Rüstungen anbehalten. Sie hockten sich eng in Gruppen zusammen, Schilde überlappend über die Köpfe gereckt, so dass es aussah, als sei das Lager von Riesenschildkröten bevölkert.
Ein wahrer Regen an Pfeilen prasselte jetzt auf sie herab, mit metallischem Klingklang, wo sie auf Schilde trafen, oder einem trockenen Trommeln, wenn sie, wie die meisten, in den grasbedeckten Boden fuhren, nur unterbrochen von Schreien, wenn einer getroffen zu Boden stürzte. Und das schienen immer mehr zu sein.
»Die sehen uns nicht. Zielen nur aufs Geratewohl«, knurrte Ferran. »Müssen uns umzingelt haben.«
Plötzlich hörten die Pfeile in ihrer Nähe auf. Dafür begannen die Pferde, die nicht weit in einer mit Seilen eingezäunten Koppel weideten, in schriller Panik zu wiehern. Nun hatten die Türken es anscheinend auf die Schlachtrösser abgesehen. Die Tiere rannten kopflos umher, rissen die Seile nieder und versuchten zu fliehen. Viele entkamen in die Nacht, andere, die durch das Lager stoben, wurden von Männern aufgehalten und nur mit Mühe wieder beruhigt.
Dann wurde es wieder still. Mit angehaltenem Atem warteten die Christenkrieger auf einen Angriff, aber der blieb aus. Nichts rührte sich mehr. Bis Befehle der eigenen Anführer durch die Nacht schallten. Die Fußtruppen sammelten sich, um Formation anzunehmen. Die Reiter fingen an, nach ihren versprengten Pferden zu suchen.
Als der Tag anbrach, wurde deutlich, dass die Seldschuken auf den Bodenerhebungen ringsum Stellung bezogen hatten. Ihnen war aufgegangen, dass es sich bei den Männern aus Antiochia nicht um eine Vorhut handelte, dass keine weiteren Truppen im Anmarsch waren. So hatten sie sich im Schutz der Nacht heimlich genähert, und nun warteten sechstausend türkische Reiter darauf, was das kleine Christenheer unternehmen würde, um sich aus dieser Lage zu befreien.
Ferran sah sich um. »Die haben uns am Arsch. Da kommen wir nicht mehr raus.«
Arnaut legte die Arme um Amirs Hals. Der Hengst stand mit hängendem Kopf und zitternden Flanken neben ihm. Ein Pfeil steckte in der Kruppe, ein anderer im linken Oberschenkel, aber am schlimmsten war der dritte, der sich tief in seine Lunge gebohrt hatte.
»Leb wohl, mein Alter«, raunte Arnaut mit Tränen in den Augen und küsste ihn ein letztes Mal auf die Stirn, bevor er dem Tier mit schnellem Ruck die Kehle
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