Die Hure Babylon
jungen Burschen aus dem Dorf. »Übrigens, dieser Lois Bernat …«
Raol lachte. »Nimm ihn mit, den Querkopf. Ist eh nicht zu gebrauchen.«
Lange wollte Arnaut diese seltsame Unterredung nicht aus dem Sinn gehen. Warum hatte Raol ihm das Gold aufgedrängt? Wollte er ihn etwa auszahlen? Nein, das konnte nicht sein, denn Raol hatte keine Kinder, und somit war Arnaut sein Erbe. Und aus welchem Grund machten sie so ein Geheimnis darum? Nun, eines Tages würde er es schon erfahren. Er würde das Gold bei den Juden in Narbona anlegen, dann wäre er nicht in Versuchung, es auszugeben.
Bei dem Gedanken an Narbona erfasste ihn eine heftige Sehnsucht nach seiner Ermengarda, nach ihren Gesprächen und sanften Liebkosungen. Großvaters Tod hatte ihn vorübergehend alles andere vergessen lassen. Doch nun kehrte sein Verlangen nach ihr fast schmerzlich zurück.
♦
Der Bauernbursche Lois Bernat war überglücklich, dass er mit auf die Reise durfte, und so aufgeregt, dass er kaum einen ganzen Satz zustande brachte, um seinem neuen Herrn zu danken. Jori blickte erstaunt auf die schweren Satteltaschen, die Arnaut mit größter Sorgfalt auf seinen Wallach schnallte.
Er hatte sich schon am Abend zuvor von der Familie verabschiedet, um gleich bei erstem Licht aufbrechen zu können. Sein Bruder Robert hatte ihm das Versprechen abgerungen, ihn bald einmal in Narbona besuchen zu dürfen. Ada dagegen war viel zu beschäftigt mit dem Nähen und Besticken ihres Brautkleids, um ihm viel Beachtung zu schenken.
Unterhalb der Burg, auf der Dorfwiese, drehte Arnaut sich noch einmal im Sattel um und winkte seiner Mutter zu, die ihnen von der Wehrmauer noch lange nachblickte, bis sie auf der Straße nach Cubaria hinter einer Biegung verschwunden waren. Diesmal hatte sie um seine Abreise mehr Aufhebens als sonst gemacht. Sogar Tränen hatte es gegeben, als würde er ans andere Ende der Welt ziehen. Mütter!, dachte er und musste lächeln.
Zu Pferde von Rocafort nach Narbona brauchte man ungefähr drei Tage. Das heißt, wenn man Ross und Reiter nicht überfordern will und sich die Zeit nimmt, die Schönheiten der bergigen Landschaft zu genießen, oder sich rechtzeitig nach einer Herberge umschaut, um den Tag bei einem wohlverdienten Mahl zu beenden. Denn für feiste Pfaffen, Gutsherren oder Kaufleute, für solche also, die es sich leisten können, hat das Land so manches an feurigem Wein, würzigem Käse und feinen Leckerbissen aus der südlichen Küche zu bieten. Die übrigen armen Schlucker begnügen sich für ein paar Kupferlinge mit einer dünnen, schwach nach Speck riechenden Suppe und einer Strohschütte in der Scheune.
Doch Arnaut hatte es eilig. Den ganzen Tag lang blieben sie im Sattel und dank eines trüben Mondes noch bis tief in die Nacht hinein. Dann hängten sie irgendwo an einem Bach den Pferden die Futterbeutel um, schlangen selbst ein wenig von Cortesas Wegzehrung herunter und legten sich, in dicke Pferdedecken gehüllt, auf den hartgefrorenen Boden. Die goldgefüllten Satteltaschen benutzte Arnaut als Kopfkissen. Vor räuberischem Gesindel, das an einsamen Stellen gern sein Unwesen treibt, fürchtete er sich nicht, denn er und Jori reisten in voller Kriegsausrüstung. Doch zur Sicherheit hielten sie abwechselnd Wache.
Für Lois Bernat war an Schlaf nicht zu denken. Über alles Gesehene musste er grübeln, dazu die lähmende Kälte der Nacht und seine eigene Aufgeregtheit. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er sein Heimattal verlassen. Alles Neue um sich herum hatte er mit großen Augen betrachtet. Enge Schluchten und dichte Wälder waren ihm bedrohlich erschienen, die mit Winterweizen bestellten Felder begutachtete er hingegen mit Kennermiene. In den kleinen Dörfern, durch die sie kamen, sah er sich aufmerksam um, neugierig, wie die Leute andernorts wohl lebten.
Zum Glück hatte Jori sich seiner angenommen, denn Arnaut schenkte dem Jungen wenig Beachtung und hätte kaum Geduld für seine anfängliche Unsicherheit und Tolpatschigkeit gehabt. Zum Glück war er wenigstens nicht vom Pferd gefallen. Und über seinen geschundenen Hintern wagte er nicht zu jammern.
Kaum zeigte sich der erste graue Streifen am Horizont, war Arnaut schon auf den Beinen. Halb erfroren schlugen sie sich die Arme um die Schultern und versuchten, ein wenig Wärme in die klammen Finger zu hauchen. Mit einem Kanten Brot und ein Stück Wurst in der Faust hievten sie sich wieder in die Sättel. Nur einmal noch hielten sie an, um die Pferde saufen zu
Weitere Kostenlose Bücher