Die Hure Babylon
Anders als Jaufré oder Raol hatte sie sich nie mit der Unschicklichkeit dieser Verbindung abgefunden.
»Ich möchte darüber nicht mehr reden, Mutter.«
Eine Weile lang sprachen sie nicht. Adela hielt ihn nur weiter fest umschlungen.
»Die Toten verschwinden einfach, machen sich davon«, sagte sie. »Sie sind bei Gott, und wir müssen sehen, wie wir hier unten zurechtkommen. Schon als Kind ging es mir so.«
»Als Großmutter Noura starb?«
»Mir kommen immer noch schlimme Erinnerungen an ihren Tod. Plötzlich war sie nicht mehr da, und ich war allein.«
»Ich hätte sie gern gekannt.«
»Das hätte auch ich mir gewünscht. Aber denkt, um Gottes willen, nicht mehr an Aimars Versprechen.«
»Du meinst, ihr Grab zu besuchen?«
Sie nickte. »Es ist alles viel zu lange her. Wahrscheinlich gibt es das Grab gar nicht mehr. Es genügt, dass wir sie in unseren Herzen tragen.«
Arnaut gab ihr einen Kuss auf die Stirn und lachte. »Niemand reist nach Outremer, Mutter. Und Aimar ist viel zu beschäftigt, Ermengarda beim Herrschen zu helfen.«
»Ich wünschte, er würde mich einmal besuchen.«
»Er wird sich freuen, es zu hören.«
Sie hatte schon immer eine Schwäche für den kleinen Mönch gehabt, seit er aufgetaucht war, um Jaufrés Testament aufzusetzen. Damals war sie eine junge Mutter gewesen, und Aimars Schwärmerei hatte ihr geschmeichelt. Nun schwärmte niemand mehr für sie. Es blieb nur die Würde des Alters.
»Achte gut auf dich, mein Junge.«
»Das sagst du jedes Mal.«
Sie holte etwas aus ihrem Gewand hervor. »Nimm dies. Ich will, dass du sie immer bei dir trägst.«
Arnaut starrte auf die kleine, aus Zedernholz geschnitzte Madonnenfigur. Die einst lebhaften Farben waren vom vielen Handhaben abgegriffen und zu Grau verblichen. Dies war das einzige Erinnerungsstück der Familie an seine Großmutter.
»Zu ihr hat Noura immer gebetet, um deinen Großvater vor Unheil zu bewahren, wenn er auf seinen Kriegszügen war. Nun wird sie dich beschützen.« Adela stellte sich auf Zehenspitzen, um ihn zu küssen. »Geh mit Gott, mein Sohn.«
♦
Am Nachmittag erwarteten Raol und Hamid ihn in der
aula.
Auf dem Tisch lag Jaufrés Schwert, das er sich in Tripolis hatte anfertigen lassen. Eine wertvolle Arbeit von einem Meister der Damaszener Schmiedekunst.
»Es ist jetzt deins«, sagte Raol ohne Umschweife.
»Aber es gehört dir. Du bist doch sein Erbe.«
»Ich brauche es nicht. Und dein Großvater wollte, dass du es bekommst.«
Ehrfürchtig nahm Arnaut das Schwert vom Tisch und zog am lederumwundenen Heft. Fast ohne Widerstand glitt die lange Klinge aus der Scheide. Er trat ans Fenster, um sie zu betrachten. Ein dünner Ölfilm ließ den Stahl im Licht des trüben Tages geheimnisvoll glänzen. Dies war die häufig gebrauchte Waffe eines Kriegers, wie man an kleinen Scharten und winzigen Einkerbungen in der Schneide erkennen konnte, die ausgebessert und sorgfältig geglättet worden waren. Doch das Schwert lag wunderbar in der Hand, die Klinge schlank und gerade, die bläuliche Maserung ein Zeugnis der außergewöhnlichen Kunst seines Schöpfers.
»Indischer Stahl, mein Junge«, erklärte Raol. »So etwas gibt es hier nicht.«
»Ich weiß. Dieses Schwert hab ich oft bewundert.«
Stahl aus dem fernen, sagenumwobenen Indien war das beste Schmiedematerial für Waffen, hart, trotzdem biegsam, im Westen unmöglich zu bekommen und selbst im Orient rar und sündhaft teuer.
»Die Schneide ist nachgeschliffen, der Griff erneuert. Es ist so gut wie eh und je.«
Zum ersten Mal seit Großvaters Beerdigung sah Arnaut ein kleines Lächeln auf der sonst so ernsten Miene seines Oheims, der sich offensichtlich freute, ihm dieses fürstliche Geschenk zu machen. Mit diesem Schwert hatte Großvater im Heiligen Land gekämpft und auch später Rocafort und die
familia
vor Feinden verteidigt.
»Warum hat er ihm eigentlich nie einen Namen gegeben?«
»Viele tun das mit einem wertvollen Schwert«, nickte Hamid. »Als hätte es eine Seele. Aber Jaufré fand so etwas immer lächerlich.«
Arnaut ließ die Waffe durch die Luft schwingen. »Für mich hat es aber doch eine Seele, so wie es sich anfühlt.« Fast andächtig schob er die Klinge zurück in ihr Futteral.
»Die alte Scheide solltest du vielleicht ersetzen«, sagte Raol. »Sie ist arg abgewetzt.«
»Abgewetzt oder nicht. Beide sind füreinander gemacht.«
Arnaut schlang sich den Schwertgurt um die Hüften und war erstaunt, wie gut er passte. Er ging ein paar Schritte
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