Die Hure Babylon
konnten. Den ganzen Tag über pilgerte das Landvolk in das kleine Gotteshaus, um ihn noch einmal zu sehen und für ihn zu beten.
In der Nacht wurde die Totenmesse gefeiert und dem Verstorbenen unter Besprengung mit Weihwasser die
absolutio
erteilt. Begleitet von Psalmengesängen und den Gebeten der Mönche, verharrte die Familie bis zum Morgengrauen auf den Knien, um für Nachlass der Sündenstrafen zu bitten. Dann wurde Jaufré unter der stummen Teilnahme des gesamten Dorfes neben seiner geliebten
Domna
Berta beigesetzt.
Noch Tage nach der Beerdigung lag eine bleierne Stille über dem Tal. Zum ersten Mal in ihrem Leben vernachlässigte Cortesa ihre Pflichten und war für niemanden zu sprechen. Selbst die Tiere in den Ställen gaben kaum einen Laut von sich. Der Himmel blieb verhangen, die Berge ringsum hüllten sich in Grau, einmal schneite es, ging aber gleich in Regen über, der den Boden aufweichte und die Wege in Schlamm versinken ließ.
Arnaut verbrachte Stunden oben in der einsamen Turmkammer, wo Großvater so oft gesessen hatte, um über sein kleines Reich zu schauen und über das Leben nachzusinnen. Lange betrachtete er den Wandteppich, der eine Reiterschlacht türkischer Krieger darstellte, wilde Nomaden aus der Steppe. Mit ihnen hatte Jaufré gekämpft und sie als würdige Gegner geachtet. Nun war er für immer gegangen. Arnaut spürte einen Riss in der Seele.
Als endlich das Wetter aufklarte, hielt ihn nichts mehr in Rocafort, und so ließ er alles für den Aufbruch vorbereiten.
»Wann reitest du?«, fragte
Domna
Adela.
Sie betrachtete ihren Sohn. Er war nach Jaufré geschlagen, groß und kräftig, mit dunklen Locken, die ihm bis auf die Schultern fielen. Sie liebte seine verhaltene und doch selbstsichere Art. Obwohl man sich da täuschen konnte, denn er konnte auch sehr ungestüm und aufbrausend sein. Wie schnell er zum Mann geworden war, fuhr es ihr durch den Kopf. In ihrem Herzen war er immer noch der kleine Junge, so dass sie jedes Mal über seinen Bart erschrak, wenn sie ihn wiedersah.
»Wir reiten morgen früh, Mutter.«
Sie hatten gemeinsam in der kleinen Dorfkapelle noch einmal für Großvater gebetet und standen vor dem Marienbild, das Adela als Kind aus Outremer mitgebracht hatte. Eine wunderschöne byzantinische Arbeit in Rot und Gold. Darauf schaute die Jungfrau Maria mit unendlicher Liebe auf das Jesuskind in ihren Armen. Dieses Bild hatte Adela immer als tröstlich empfunden. Doch seltsamerweise glaubte sie heute, so etwas wie eine schmerzliche Vorahnung im Blick der Mutter Gottes zu erkennen, als wüsste sie schon, was man ihrem Kind antun würde. Ein Schauer lief Adela über den Rücken, und sie schlang den Arm um den Leib des Sohnes und ließ den Kopf an seine Brust sinken.
»Ich wünschte, du würdest nicht gehen.«
Er zog sie fester an sich.
»Narbona ist nicht weit, Mutter.«
»Zu weit für mich«, flüsterte sie.
Adela fühlte sich verlassen seit Jaufrés Tod. Natürlich gab es Robert und Ada und alle anderen auf Rocafort. Mit ihrem Bruder Raol verstand sie sich gut, auch wenn sie nicht von derselben Mutter stammten. Aber dass Arnaut nun wieder in die Welt ziehen würde, das tat weh. Er war ihr Ältester. An ihm hing ihr ganzer Mutterstolz. Und plötzlich flossen die Tränen.
»Ihr Männer wisst nicht, wie es ist, wenn man zurückbleibt und ewig wartet, wenn man bangt und hofft und sich vor dem Tag fürchtet, an dem man die schreckliche Botschaft erhält …« Sie konnte nicht weiter, hielt sich nur schluchzend an ihm fest.
»Aber, Mutter«, murmelte Arnaut. »Was redest du da?«
Sie wandte sich von ihm ab, wischte sich die Nase. »Ihr Söhne seid die Schlimmsten. Was kümmert euch das Geflenne der Mütter. Kaum aus dem Haus, habt ihr es vergessen.«
Unmut flog über Arnauts Gesicht. Aber dann besann er sich und legte seine Arme um sie. »Zu Adas Hochzeit bin ich zurück.«
»Versprichst du es mir?«
»Ich verspreche es.«
Nun lächelte sie wieder ein wenig und schmiegte sich an ihn. »Ich wünschte, du würdest dich endlich auch vermählen wie Ada und mir Enkel schenken. Oder willst du kinderlos enden wie dein Onkel Raol?«
Warum Raol nie ein Weib genommen hatte, war allen ein Rätsel. Im Dorf hielten sich zwar Gerüchte von dem einen oder anderen Bastard, aber das war sicher nicht mehr als dummer Bauernklatsch.
Als Arnaut ihr nicht antwortete, fügte sie hinzu: »Sosehr ich deine Ermengarda liebe, aber so wie ihr lebt …«
Das war ein wunder Punkt bei ihr.
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