Die Hure Babylon
er jedenfalls genug.«
Das fand beifälliges Gemurmel. Aber Severin wusste, dass die Männer auch ohne Sold gekommen wären, denn sie liebten Arnaut. Er behandelte jeden mit Respekt, traf Entscheidungen mit Entschlossenheit und verlangte von niemandem, was er nicht selbst zu leisten imstande war. Sein Freund war ein geborener Anführer.
»Umso besser«, sagte Severin. »Dann bekommen wir vielleicht eine ganze Schwadron zusammen.«
»In jedem Fall holen wir uns das Gold der Sarazenen«, feixte einer der Männer. »Und ihre Weiber«, wieherte ein anderer unter allgemeinem Beifall.
Arnaut wartete, bis die letzten Lacher verklungen waren.
»Gewiss wird es Gelegenheit zum Plündern geben«, sagte er ernst. »Aber eines will ich klarstellen. Dies hier ist kein üblicher Beutezug, sondern eine Pilgerfahrt ins Gelobte Land. Wir ziehen aus, um unseren Brüdern in Outremer beizustehen und Edessa zu befreien. Eine heilige Aufgabe und ein gottgefälliges Werk, das jedem Krieger, der daran teilnimmt, zur Ehre gereichen wird und zu ewigem Leben an Gottes Seite. Ich verlange Zucht, Ordnung und ein würdevolles Benehmen. Habt ihr mich verstanden?«
Etwas erstaunt sahen sie ihn an. So kannten sie ihn noch gar nicht. Aber dann murmelten sie ihre Zustimmung. Viele bekreuzigten sich, andere nickten ehrfurchtsvoll. Niemand widersprach.
Arnaut fühlte sich von den eigenen Worten unerwartet berührt. In der Tat, dieser mächtige Heerzug, dem sie sich bald anschließen würden, angeführt von zwei Königen der Christenheit, dieses gewaltige Unternehmen stand für weit mehr als Abenteuer und Beute, für mehr als Grenzstreit und Kleinkrieg unter Fürsten und Kastellanen. Ihm wurde mit einem Mal bewusst, wie lächerlich unbedeutend im Vergleich dazu das eigene Leben oder die Vergebung der eigenen unerheblichen Sünden war. Gott hatte weit Größeres mit ihnen vor.
Aus einer plötzlichen Eingebung heraus riss er sein Schwert aus der Scheide und hielt es an der Klinge empor. Wie ein silbernes Kreuz funkelte es in der Sonne. »Bei diesem Schwert und beim Blut der gemeuchelten Kinder von Edessa schwört mir Treue und Gehorsam im Kampf für Jesus Christus, unseren Herrn.«
»Wir schwören«, schrien die Männer. »Rache für Edessa!«
Fraire
Aimar ließ sie niederknien und segnete sie nach kurzem Gebet. Dann befahl er ihnen, Kreuze auf ihre Umhänge zu nähen. Denn nun waren sie
milites christi,
Krieger des Herrn.
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Buch II
Oktober, Anno Domini 1147
Zwei Könige und ein Kaiser treffen sich in Konstantinopel. Es werden Bündnisse erneuert, Versprechungen gemacht und Eide geschworen. Dann ziehen die Christenheere siegesgewiss dem Feind entgegen. Doch im wilden Niemandsland erweist sich, dass es leichter ist, gegen Satans Mächte zu predigen, als sie zu vernichten.
Ermengarda und Menerba
D as Fenster in meiner Kammer gewährt einen guten Blick auf die Aude und die mächtige Römerbrücke, die die beiden Stadtteile verbindet. Auf ihr drängen sich die Buden und Marktstände der Schlachter und Fischfrauen, die sich gegenseitig beim Anpreisen ihrer Waren zu übertönen suchen.
Auch heute wanderten Hausfrauen und Köchinnen mit großen Körben, alles begutachtend und feilschend, von Stand zu Stand. Unter den Brückenbogen floss träge der Fluss. Fischer ruderten von der Bucht heran, um ihren Fang zu landen. Es sah alles so fröhlich und bunt aus, genau wie jeden Tag. Und so wie letztes Jahr oder gar vor hundert Jahren. Nichts änderte sich je.
Aber das täuschte. Alles hatte sich mit einem Schlag verändert. Es war nicht mehr das gleiche Bild, nicht mehr die gleiche Stadt. Etwas fehlte. Die Freude hatte sich davongestohlen. Obwohl keiner von denen da unten dies zu merken schien. Oder auch nur ahnte, wie trostlos es in meinem Herzen aussah. Ich fühlte mich wieder wie das von allen verlassene Waisenkind, als das ich aufgewachsen war. Nur schlimmer. Ich litt unter dieser Einsamkeit und suchte sie zur gleichen Zeit.
Das beschauliche Bild dieses alltäglichen Treibens dort unten konnte ich nicht länger ertragen. Ich schloss das Fenster und begab mich in den Palastgarten, wo ich allein mit einem Buch die Sonne dieses vielleicht letzten warmen Oktobertages genießen wollte. Doch auch hier blieb ich nicht lange ungestört.
»Darf ich mich zu dir setzen?«
Es war Peire Rogier, Sänger am Hof und mein Freund. Wie immer hatte er seine Laute dabei. Ich machte ihm wortlos auf der Gartenbank Platz. Meinen geliebten Ovid legte ich zur
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