Die Hure: Roman (German Edition)
auf dem Markt oder in der Straßenbahn oder im Dom oder im Museum für zeitgenössische Kunst oder in der Markthalle oder in der Bibliothek. Und die Menschen kaufen sie!
Bald kommen die Medien auf die Idee, dass Aphrodite, so schön, wie sie ist, noch irgendetwas anderes Aufregendes tun könnte: schauspielern oder singen oder tanzen. Ihr wird ein Schallplattenvertrag angeboten, und sie nimmt eine Single auf. Das ist wirklich aufregend, denn Aphrodite ist nicht besonders musikalisch. Aber auf dem Cover sieht sie echt gut aus. Da die Platte nicht an dem Tag erscheint, an dem Aphrodite gesungen hat, vergisst sie das Ganze.
Sie müsste endlich in den Hades. Dort wartet die wahre Liebe. Der herrliche Adonis. In Persephones dunkelroten Gothic-Klauen. Aphrodite spürt Krämpfe im Herzen und im Magen, wenn sie sich vorstellt, wie ihr Geliebter mit dieser Frau schläft. Vielleicht weigert er sich ja, mit ihr zu schlafen. Bestimmt weigert er sich! Aber Persephone ist eine Hexe, sie hat schon viele Männer verhext. Es war für alle das Beste, dass sie da gelandet ist, wo sie eben gelandet ist. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte Aphrodite die kleine Schlampe höchstpersönlich in den Hades befördert. Oder nein, das wäre vielleicht ein bisschen zu böse und unsolidarisch gewesen. Aber sie kann nicht leugnen, dass sie ab und zu gedacht hat, dem Mädchen sei ganz recht geschehen.
Aphrodite entspannt auf der Terrasse ihres Hotels. Sie sieht Tauben, Menschen, Reklame, das Einkaufszentrum, das BBQ Inferno. »Das saftigste Fleisch und die blutigsten Steaks der Stadt«, steht am Fenster. Solche Lokale machen sie wütend. »Die müsste man gesetzlich verbieten«, murmelt sie in ihren dicken Schal.
Dann erlöschen die Lichter im Steakhaus. Einen Moment lang glaubt Aphrodite, das liege an ihrer Zauberkraft. Sie zieht die Augenbrauen hoch und lächelt. Doch dann kommt eine recht junge, sehr schöne Frau aus dem Restaurant, hängt ein Schild mit der Aufschrift »Geschlossen« an die Tür und schließt ab. Mit ihr taumelt ein Mann heraus, der eine irre große Sonnenbrille trägt und eine Art Blindenhund hat. Aphrodite findet Hunde eigentlich süß und putzig, doch für dieses Exemplar gilt das nicht. Es sieht aus, als hätte das Tier überhaupt kein Fell. Die Menschen züchten alles Mögliche. Aber sie werden ihre Fehler einsehen, wenn ihre Schoßtiere sich in Monster verwandeln und sie alle umbringen.
Der blinde Typ verschwindet, und die schöne Frau bleibt allein vor der Tür stehen. Sie schaut ein wenig verloren drein, bis ein teuer aussehender Wagen vor ihr hält. Da öffnet sie die Beifahrertür, sieht sich um und steigt ein.
»Aha«, seufzt Aphrodite, und ihr Gesicht hellt sich auf.
Sie eilt in ihr Zimmer und zieht den Mantel an, den sie sich neulich gekauft hat, dazu einen flauschigen Hut. Beides natürlich aus Kunstpelz, denn keine schöne Frau im ganzen Universum, schon gar nicht die allerschönste, billigt Grausamkeit gegen Tiere. Wieder denkt sie, wie unglaublich rückständig die Menschen in diesem Land auch in diesem Punkt sind.
Für Aphrodite ist die Anwesenheit von Kurtisanen oder Hetären oder käuflichen Frauen oder Oberpriesterinnen des Sex immer erfreulich, denn die sind schließlich ihre Anhängerinnen und ergebensten Dienerinnen. Außerdem liebt sie Schönheit, besonders weibliche Schönheit! In ihrer Eigenschaft als Schutzheilige der Huren läuft sie auf die Straße, klaut ein Fahrrad und folgt dem Wagen.
Das Auto fährt nicht weit. Zum Glück, denn Aphrodite ist keine geübte Radlerin. Sie ist noch nie Rad gefahren. Den einen ihrer hochhackigen Pumps verliert sie schon an der ersten roten Ampel, wo irgendein Idiot sie beinahe anfährt.
Der Fahrer parkt am Straßenrand und steigt aus. Vom Beifahrersitz erhebt sich die Frau aus dem Steak-Restaurant. Der Mann öffnet ihr nicht die Tür. Unhöflicher Schnösel. Er geht mit schnellen Schritten zu einem Mietshaus und schließt auf; diese Tür hält er der Frau immerhin auf. Sie betreten das Treppenhaus. Aphrodite schafft es nicht, mit ihnen hineinzuschlüpfen, denn der Absatz des verbliebenen Schuhs hat sich im Pedal verkeilt.
Auf Strümpfen trippelt sie auf die andere Straßenseite, um zu sehen, wo das Licht angeht. Die Wohnung liegt im zweiten Stock. Aphrodite bemerkt eine Mauer. Von dort oben hätte sie bessere Sicht. Sie klettert auf den Abfallbehälter an der Straßenbahnhaltestelle, von da auf das Dach des Wartehäuschens, dann springt sie auf die
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