Die Hure: Roman (German Edition)
das kleine Tier schlecht behandelt. Sie hat bemerkt, dass die Beine des Tieres oft krumm sind. Als wäre es getreten worden. Deshalb hat sie ihren Nebenjob noch emsiger verrichtet, und schon nach dem sechsundsiebzigsten Freier hat sie das Geld für die Augenoperation beisammen.
Es kommt der Tag, an dem Kalla den Mann in eine Privatklinik bringt und dem Arzt viel Geld bezahlt.
Dem Mann werden neue Augen eingesetzt. Wo mögen die wohl herkommen? Sicher aus Russland oder aus der Dritten Welt.
Der Mann ist total zufrieden, weil er wieder sehen kann. Als Erstes mustert er Kalla von Kopf bis Fuß und lässt den Blick ungefähr auf Busenhöhe verweilen.
»So, das war’s dann wohl«, sagt Kalla.
Der Mann starrt sie an. Seine neuen Augen sind viel sanfter als die vorigen, aber gegen seinen infamen Gesichtsausdruck können sie nicht viel ausrichten.
Kalla kehrt ins BBQ Inferno zurück, fest entschlossen, ihre Karriere als Ganztagskellnerin fortzusetzen.
»Du bist gefeuert«, erklärt die Chefin bei ihrem Eintritt.
»Warum?«, ruft Kalla erschrocken.
»Der Koch ist abgehauen, nachdem du ihm neue Augen spendiert hast. Mitleid ist eine Krankheit, merk dir das.«
»Aber er konnte doch nicht mal richtig kochen.«
»Er war die einzige anständige Arbeitskraft. Neben mir.«
Die Chefin beschimpft Kalla eine halbe Stunde lang. Dann bricht sie in Tränen aus und rückt mit dem eigentlichen Grund für die Kündigung heraus: Wegen dem widerwärtigen Geruch kommen keine Gäste mehr. Das bedeutet, dass das Steakhaus langsam, aber sicher in den Konkurs getrudelt ist. Also gibt es keine Arbeit mehr für Kalla und auch sonst für niemanden, ob anständig oder nicht.
»Wenn du Geld übrig hast, könntest du mir natürlich unter die Arme greifen.«
»Leck mich«, sagt Kalla und beißt sich aus Versehen auf die Lippe.
Nun muss sie wohl doch Hure bleiben.
Kalla holt ihre hautlosen Tiere aus dem Hinterzimmer und geht nach Hause. Nein, eigentlich könnte sie Milla besuchen, die hat heute frei. Sie klingelt bei ihr. Milla lässt sie und die Tiere ein.
Und jetzt kommt es zu heißem Lesbensex!
Nein, wieder nicht, du widerlicher Chauvinist. Und wenn doch, erzählt dir jedenfalls keiner davon.
Milla und Kalla liegen auf Millas Bett und sehen fern. Sie überlegen, ob sie Cider kaufen sollen, aber draußen ist es so kalt, dass sie darauf verzichten.
Das große Tier hat sich auf dem Fußboden ausgestreckt, das kleinere dagegen will unbedingt zwischen ihnen liegen. Kalla krault ihm den Kopf.
»Ich weiß nicht … vielleicht hast du dich schon an den Geruch gewöhnt, aber ich finde, wir müssten etwas dagegen tun«, sagt Milla.
»Was kann man denn dagegen tun? Ich meine, in gewisser Weise sind die ja tot.«
Milla überlegt. Vom Nachdenken wird ihre Stirn ganz heiß. Parfüms und Deodorants würden den Eigengeruch der Tiere vielleicht für eine Weile überdecken, doch eine dauerhafte Lösung brächten sie nicht. Sie wühlt auf dem Schminktisch, der eigentlich der Esstisch ist, aber irgendwie von Kosmetika begraben wurde. Das liegt hauptsächlich an Aphrodite. Wenn Milla allein leben würde, bräuchte sie für ihr Make-up nur den Badezimmerschrank und den Schminktisch und das Bücherregal. Milla hebt Tiegel und Tuben an und liest sorgfältig, was darauf steht. Anti-Zellulitis-Creme, nein. Anti-Falten-Creme, nein. Express-Lifting, nein.
»Heißt miracle nicht Wunder?«, fragt sie schließlich.
»Ja.«
»Das hier soll angeblich Wunder wirken.«
»Das schreiben sie doch überall drauf.«
»Ja, aber hier steht, dass es wirklich Wunder wirkt.«
»Born Again Ultra Exclusive Re-Incarnating Anti-Millenia Life Eternal Serum«, liest Kalla von der Tube ab. »Klingt beeindruckend, oder?«
Milla reibt das größere Tier mit der Creme ein. Die ist sehr ergiebig, was nur angemessen ist, wenn man bedenkt, dass der Literpreis bei dreitausend Euro liegt. Auch für das kleinere Tier reicht die Creme. »Und jetzt warten wir auf das Wunder«, sagt Milla zufrieden.
Und siehe da! Das Fleisch der Tiere belebt sich zusehends, und ihnen wächst sogar eine dünne, durchsichtige Haut. Die Tiere betrachten sich bewundernd und verblüfft, so toll haben sie noch nie ausgesehen!
»Und da behaupte noch jemand, diese Emulsionen wären Betrug«, meint Milla zufrieden.
Aphrodite poltert im Flur. Sie schleudert die eine Stiefelette bis ins Zimmer. Bei der zweiten geht der Reißverschluss kaputt, Aphrodite kriegt sie nicht vom Fuß. Dann bricht auch noch der
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