Die Hure: Roman (German Edition)
nicht. Entfernt auch den Schnurrbart. Jetzt vielleicht noch eine Gesichtsmaske, die Haut des Mannes ist nach wie vor ein wenig schlaff.
Dann bugsiert sie den Mann in die Badewanne und duscht ihn ab. Reibt ihn mit einem flauschigen Flanellhandtuch trocken. Kämmt seine Haare nach hinten. Kämmt sie nach vorn, über die Augen. Kämmt sie dann doch wieder zurück.
Und die Kleidung? Sie hat keine Unisex-Klamotten, so etwas trägt sie nicht. Also steckt sie die Glieder des Mannes in den orangen Overall.
Und dann stehen sie vor dem Spiegel.
Wie eine Familie.
Als man die Moschee des schwarzen Steins zu säubern begann, war die Göttin Manat die Einzige, die begriff, dass es jetzt davonzulaufen galt. Sie versuchte ihre Schwestern zu überreden, mit ihr zu kommen, doch sie waren von all den Opfern, die sie empfangen hatten, ein wenig mollig geworden und faul wie satte Katzen in der Sonne. Manat hingegen nahm ihr Schicksal in die Hand, schließlich war sie die Schicksalsgöttin, und floh vom schwarzen Stein, bevor die Eroberer mit ihrer Tätigkeit begannen.
Die Säuberer wollten Manat unbedingt finden und ihr dasselbe antun, was sie bereits ihren Schwestern angetan hatten. Manats Freiheit war das Gefährlichste, das sie sich vorstellen konnten.
»Das begreife ich nicht«, sagte Manat. »Ich bin doch nur eine Göttin unter vielen. Was ist daran so schlimm?«
Manat musste weit fliehen, bis nach Indien. Doch die Freiheit schmeckte bitter. Sie trauerte um ihre Schwestern, die jahrtausendelang ihr Ein und Alles gewesen waren und die man nun, wie sie erfuhr, in Schwäne verwandelt und in einen engen Käfig gesperrt hatte. In ihrer Trauer kletterte Manat auf einen Berg und stieg über die Wolken bis ins Mondlicht hinein. Dort gründete sie den Himmel der Tiere, denn sie wusste, dass die Säuberer ihren Schwanenschwestern eines Tages den Hals aufschlitzen würden.
Damals trafen viele dankbare Tiere ein, und es kommen immer mehr, doch Manat wartet bis heute auf ihre Schwestern.
5.
COME ON BABY. BABY TAKE MY HAND.
WE’LL BE ABLE TO FLY.
BABY I’M YOUR MAN.
VIELLEICHT HAT APHRODITE schlechtes Acid erwischt oder einfach den falschen Stoff. Damals, als sie in London gewesen war, hatte man alles nehmen können, aber jetzt befinden wir uns in Helsinki. Der Name der Stadt geht ihr durch den Sinn. Ein schrecklicher Name für einen Ort. Schrecklich, die Hölle. Das hier ist die Hölle. Pfui Teufel.
In ihren meerblauen Augen sind die Pupillen nur als winzige Pünktchen zu sehen. Wenn jemand da wäre, sie zu sehen. Ist aber keiner da.
Sie liegt ganz allein auf dem schmutzigen Boden in der Toilette des Nachtclubs. Wo ihr Strumpf endet, berührt die helle Haut ihres Oberschenkels die schmierig kalten Kacheln. »This is too fucking depressive«, murmelt sie, aber es klingt wie »Zzz faaakhhhh sshhhhh«.
Alles ist verloren. Alles ist schwarz.
Es ist schwarz.
Und das Herz steht still.
Aphrodites schönes Bein streckt sich und lugt unter der Toilettentür hervor. Eine Frau informiert einen Nachtclub-Mitarbeiter. Nicht aus Sorge, sondern weil sie aufs Klo will. Nirgendwo gibt es genug Klos. Andernfalls wären die Frauen vielleicht empathisch und nett zueinander.
Aber das alles hat keine Bedeutung mehr.
Wir sind im Tod.
Und der Tod ist ewig.
(Nicht für alle.)
Aphrodite merkt, dass ihre blonden Haare leuchten wie phosphoreszierend. Ein Boot erwartet sie. Jedenfalls sieht es so aus, als ob das Boot gerade auf sie wartet. Es ist sonst niemand da.
Im Boot sitzt ein muskulöser Mann mit einem kleinen Lendenschurz. Die Lage ist also nicht völlig hoffnungslos. Lächelnd steigt Aphrodite ein.
Der Ruderer streckt die Hand aus. Aphrodite reicht ihm die ihre zum Kuss. Der Bootsmann wirkt beleidigt. »Dachtest du etwa, die Überfahrt wäre kostenlos?«, fragt er.
»Ja«, antwortet Aphrodite.
»Ist sie aber nicht.«
»Scheiße, ich hab kein Bargeld.«
»Dann musst du hundert Jahre am Ufer herumirren.« Der Ruderer kehrt ihr den Rücken zu.
»Scheint hier jemals die Sonne?«, fragt Aphrodite.
»Nein.«
»Kann ich mit Visa bezahlen?«
Der Mann zuckt die Achseln, nimmt die Karte und behält sie. Aphrodite protestiert nicht. Sie hat eine ungefähre Vorstellung von ihrer Kreditsituation. Die ist nicht gerade berühmt. Sie steigt in das kleine Holzboot und setzt sich dem Ruderer gegenüber.
Im Tod herrscht ewige Abenddämmerung, wie jeder weiß. Und der Fluss hat keine Strömung, das Wasser steht. Folglich könnte das Rudern flott
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