Die Hure: Roman (German Edition)
um ihre Freundin und Kollegin willkommen zu heißen. »In meinem Reich!« Dann mustert sie Aphrodite von Kopf bis Fuß und legt besorgt einen Finger an die Wange. »Oje, wie schrecklich.«
»Was?«
»Ich konnte ja nicht ahnen, dass du noch nicht fertig angezogen bist.«
»Bin ich doch.«
Persephone legt die schmalen behandschuhten Finger an die Lippen und zieht die Augenbrauen hoch. »Wie peinlich!«, kreischt sie. »Ich dachte, das wäre Unterwäsche!«
Persephones Stirn bleibt glatt, obwohl bei dieser Miene Falten erscheinen müssten. Botox.
»Wirklich?« Aphrodite kichert schrill.
Hahaha, beide lachen, bis Persephone eine herablassende Miene aufsetzt. Sie erklärt Aphrodite, in diesem Gebiet seien alle Frauen verpflichtet, sich züchtig und feminin zu kleiden. »So wie ich.« Dann legt sie den Kopf schräg und streichelt ihre Pelzstola.
Aphrodite starrt auf das tote Tier, dessen ganzer Körper samt Kopf und Pfoten zum Accessoire degradiert worden ist. »Man hat mir gesagt, hier gäbe es keine Tiere.«
»Aahahahaa«, lacht Persephone sinnlich, wobei all ihre Zähne zu sehen sind. Sie erinnert Aphrodite daran, dass sie alles bekommt, was sie will. Sie hat immer alles bekommen, was sie wollte.
»Ja, natürlich.«
Hahaha, wieder lachen beide.
»Zum Beispiel alle Männer«, fügt Persephone an.
»Hm.«
»Zum Beispiel deinen Freund.«
»Er ist nicht mehr mein Freund.«
»Dabei wollte ich ihn gar nicht, er ist einfach aufgetaucht.«
Aphrodite antwortet nicht, sie verzieht den Mund nur zu einem immer süßlicheren Lächeln. Allmählich tun ihr die Wangen weh: Sie spürt ihre Gesichtsmuskeln, das ist widerlich.
»Ja, aber ich war ja noch so schrecklich jung, ein kleines Mädchen. Mutter sagte, geh nicht mit ihm. Und das hätte ich auch nicht getan, er war ja so erbärmlich. Aber er wollte nicht aufgeben! Du warst doch damals schwanger von ihm?«
»Das war dann wohl kurz vor dieser SCHRECKLICH UNANGENEHMEN GESCHICHTE «, erwidert Aphrodite.
Persephones Miene spannt sich an. Sie spricht nie darüber, wie sie zur Königin der Unterwelt gemacht wurde. Nie. Aphrodite lächelt und streicht ihre Stirnfransen zurecht.
»Eigentlich bin ich gekommen, um die erste Miete zu kassieren«, erklärt Persephone kühl.
»Was?«
Aphrodite weiß nicht, was eine Miete ist, wie sie auch nicht weiß, was eine Steuererklärung, eine Telefonrechnung oder ein Stromvertrag sind. Persephone lacht wieder ihr Zahnpastalächeln und sagt, Aphrodite werde im Tod vielen wunderlichen Dingen begegnen: »Wir sind hier, um zu lernen.«
Dann mustert sie Aphrodite abschätzig.
»Deine Sachen taugen hier nicht.«
Sie reicht Aphrodite ein pfefferminzgrünes Kleid mit einer großen Schleife über dem Hintern. Aphrodite hält sich das Kleid vor und zieht eine Grimasse, als sähe sie eine verwesende Leiche. »Iiih«, macht sie.
Persephone spitzt den Mund und zieht die dunklen Augenbrauen hoch. Dabei entsteht nicht die kleinste Falte auf ihrer Stirn. Die blöde Kuh ist vollgespritzt mit Gift!
»Zieh es an«, sagt Persephone, ohne zu lächeln.
»Ja«, antwortet Aphrodite. Ohne zu lächeln.
Dann lächeln beide wieder so strahlend, dass sie ihr Gesicht schmerzt. Aphrodite faltet das Kleid über dem Arm.
»Und noch etwas. Entschuldige, aber ich muss es dir sagen: Deine Frisur sieht echt billig aus.« Persephone reicht Aphrodite die Visitenkarte ihres Friseurs: »Den möchte ich dir dringend empfehlen.«
Eine Weile stehen sie stumm voreinander. Dann winkt Persephone mit ihrer kleinen Hand und trippelt davon.
Aphrodite bleibt an der Tür stehen, sieht ihr nach und erkennt etwas, das alle früher oder später begreifen sollten: »Vintage« und »gut aussehend« sind keine Synonyme.
Aphrodite steht mit hochgerecktem Hintern am Bretterzaun und späht durch eine Ritze in den Nachbargarten.
Persephone hat sich auf einem Liegestuhl ausgestreckt, eine große Sonnenbrille im Gesicht. Sie nimmt ein Sonnenbad. Nur die Sonne fehlt. Kein Wunder, dass ihre Haut so blass ist. Sie lächelt süßlich wie immer. Adonis ruht phlegmatisch neben ihr, sieht allerdings nicht restlos unzufrieden aus. Er ist bestimmt unter Drogen gesetzt worden. Oder verhext!
Da fällt Aphrodite etwas ein. Sie fixiert die Lenden des jungen Mannes. Ein geräuschvoller Seufzer entschlüpft ihren Lippen. Persephone dreht den Kopf so schnell zum Zaun, dass ihr das Genick brechen würde, wenn sie sterblich wäre. Sie nimmt die Sonnenbrille ab, damit die theatralische Strenge ihres
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