Die Hure und der Henker
Kater, bei denen zuerst Kuller kreischte
und am Ende auch Elsbeth; kaum, dass er Heinischens Vertrauen besaß und der ihm
auch den stets verschlossenen Schrank öffnete, der verbotene Schriften
enthielt; kaum, dass er Erfahrung in der Buchpflege besaß und wusste, welche
Flecken man mit Salmiak, welche mit Brotkrumen und welche man besser gar nicht
beseitigte, damit man kein Loch in die Seite machte; kaum, dass er wusste, in
welchen Abständen die Ledereinbände gewachst werden mussten, wann in Frankfurt
die Buchmesse war, wann der »Catalogus universalis« erschien; kaum, dass etwas
in ihm nachgab, er Vertrauen fasste, er nicht mehr in allem der Beste zu sein
brauchte, er nicht mehr alles wissen und alles können zu müssen glaubte, um
sich Heinischens Freundlichkeit zu verdienen; kaum, dass er für möglich hielt,
die gelte ihm selbst, dass er für möglich hielt, auch der Magister habe Freude
an der gemeinsamen Arbeit, an den Gesprächen, die sich aus ihr ergaben, etwa
wenn der Alte am Packtisch stand und ihn wissen ließ, dass es drei Kometen
seien, nicht nur einer, und zwar habe man den ersten wegen der wochenlangen
Wolkendecken nicht kommen sehen und die beiden kleineren mit bloßem Auge nicht
erkennen können, aber alle seien sie aufgetaucht, als Jupiter, Sonne, Mond,
Venus und Merkur unter der Horizontlinie standen, Mars und Saturn aber leider
darüber; kaum, dass sie über Mars und Saturn sprachen, Kampf und Zersetzung,
notwendige Prinzipien im Weltganzen, sicher, aber gefährlich ohne Beteiligung
von Lebensenergie, ohne Fruchtbarkeit, Wachstum, Verstand und Gespräch; kaum,
dass er es hatte, damals, vor zwanzig Jahren: Fruchtbarkeit, Wachstum, Verstand
und Gespräch, da starb David Heinisch und er war wieder verwaist.
Es war nach
dem Tode ihres Vaters, dass Judith zum ersten Mal Du zu ihm sagte. Wobei sie
natürlich beim Ihr blieb: »Ich danke Euch, Valentin!«
Es war nach
jenem Trauermahl, das stattfand, obwohl ihr Vater sich dergleichen
testamentarisch verbeten hatte, keine Aufbahrung wollte, keine Wappen, keine
Blumen, kein Trauergeschirr bei den Pferden, keinen Vorhangschmuck, keine
Trauerkleidung. »Aber etwas«, hatte Kober gesagt, »müssen wir machen. Wir
können die Leute nicht so vor den Kopf stoßen.«
»Er wollte es
nicht.«
»Er wollte
keine Grabplatte an der Friedhofsmauer, keinen Stein, keine Inschrift. Er hat
uns Beisetzungsgeschenke und Trauerringe verboten. Obwohl ich das auch so ganz
nicht verstehe. So ein Ring. Ganz schlicht. Nur aus Gold. Man muss das ja nicht
so üppig halten. Vielleicht nur ein bisschen mit weißer Emaille. Ein gemaltes
Skelett oder was sonst noch so passt. Aber von mir aus…«
Kober wandte
sich vom Fenster, aus dem er gesehen hatte, wieder Judith zu, die am Tisch saß:
»Nur alles weglassen können wir nicht. Judith! Schatz! Versteh doch! Es
sind die Leute, mit denen wir leben! Freunde, Geschäftspartner, Förderer,
Kunden! Wenigstens ein Trauermahl müssen wir bieten.«
Es war nach dem Trauermahl,
das Judith sich bieten ließ, ja dessen Vorbereitung sie, die man in diesen
Tagen nie weinen sah, obwohl sie geweint haben musste, denn ihre Augen waren
beständig gerötet, dann sogar selbst übernahm.
Ihr Vater war
gestorben, als Valentin in der Schule war.
Am Morgen,
als Heinisch in die Küche kam, wo Elsbeth dem frühstückenden Valentin gerade
einen Topf mit eingeweichtem Backobst hinhielt, »Schlesisches Himmelreich«
koche sie heute, Backobst mit Rauchfleisch, er könne sich freuen, sah man den
Magister zum letzten Mal lebend. Er bat um einen Schlaftrunk, sei die ganze
Nacht auf gewesen, konnte sich mal wieder von seiner Arbeit nicht lösen. Er
bat, ihm den Trunk in seine Stube zu bringen. Und nachdem er mit Valentin noch
ein paar Worte gewechselt hatte, erst über seine Arbeit, »Von den Wurzeln des
Denunziantentums«, als die er Geldgier, Rachsucht und zu große
Anpassungsbereitschaft sah, dann über Valentins Stundenplan, welche Altersstufe
er heute wie lange und worin unterrichte, war er wieder nach oben gegangen.
Dass Ulla mit
dem Trunk dann vergeblich klopfte, dass sie, nach kurzem Warten und kräftigerem
Klopfen, das Tablett mit Krug und Becher abstellte, Elsbeth holte, die als
Einzige in diesem Haus keinen Zornesausbruch zu erwarten hatte, wenn sie den
Magister zu stören wagte, denn dass er schlafe, wollte Ulla nicht glauben, das
kenne sie, dann schnarche er, dass man es vor der Tür höre; dass es die
schlesische Elsbeth war, die ihn
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