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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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Elsbeth zugeraunt, was
sie vergessen hatten und dass Elsbeth die beiden unterhalten solle, während sie
oben das Bett beziehe. Jedenfalls war, als Valentin und Vyfken mit ihren Kiepen
und Körben die Stube betraten, von Vergesslichkeit, Eile und Hast nichts zu
sehen. Klein, traulich und hübsch lag sie da, die Kissen in dem Bett, das sogar
einen Baldachin hatte, bezogen, das Fenster geöffnet, durch das die frische
Abendluft kam, die hellgrau gestrichenen Dielen blitzblank. Ein Tisch, ein
Stuhl, ein Schrank. Sogar ein Bord für die Bücher. Was wollte man mehr?
    »Schön hast du’s hier«, sagte
Vyfken.
    Mit bebender
Stimme.
    Judith ließ
die beiden allein.
    Und bei jenem
ersten Abendessen damals, bei jener Mahlzeit, die der alte Magister gleich
nutzte, Valentin wissen zu lassen, was ihn erwartete, denn zu der üblichen
Bücherflut, die mit der Messe in Frankfurt bald steige, sei noch die durch den
Kometen gekommen, die den Packtisch in der Bibliothek und einen Teil der noch
freien Regale mit neuen, zum Teil noch unaufgeschnittenen, ja noch nicht einmal
inventarisierten Büchern wie »Prognosticon anlässlich der Erscheinung des
Haarsternes«, »Prodromus zum geschwänzten Stern« und »Christmäßige Betrachtung
des Kometen« bedeckt habe, ganz zu schweigen von der »Anzeigung unserer Sünden
durch Gottes Straf- und Warnzeichen«, dem »Kometen-Spiegel« und dem »Vermehrten
Kometen-Spiegel«; überhaupt vermehrten sich die Kometenschriften für seinen
Geschmack viel zu sehr; das werde er, Valentin, morgen früh sehen – bei jenem
ersten Abendessen, jener Mahlzeit, da Valentin seinen von ihm sehr verehrten
Magister Heinisch zwischen locker krumigem Brot und herrlich duftender Mettwurst
respektvoll daran erinnern musste, dass er am nächsten Morgen nicht könne, da
schreibe ihm der Stundenplan mehrere Schulstunden vor, bei jenem ersten
Abendessen, jener Mahlzeit, da Judith außerdem von ihrem Vater noch wissen
wollte, was ein Ichneumon sei, und Kobers neuer Sattel im Gespräch viel zu kurz
kam, hätte niemand, beteuerte Valentin später, niemand, kein Mensch, kein noch
so aufmerksamer Beobachter, auf ein später nicht enden wollendes Gespräch
zwischen Judith und ihm schließen können. Ob ihm die Stube gefalle, fragte sie
ihn.
    »Ja.«
    Ob ihm die
Miete zu hoch sei.
    »Nein.«
    An Geschwätzigkeit, hatte
Judith damals zu Kober gesagt, leide der neue Hausgenosse jedenfalls nicht.

 
    5
     
     
     
    Judith, hörst du mich? Du
musst mithelfen, allein kann ich dich nicht aufrichten. Wie? – Ja, ja, der
Lebensbund und Valentin, ich weiß. Aber aufsetzen musst du dich trotzdem.
Vorsichtig, die Brandblasen dürfen nicht platzen. – Komm, du musst trinken,
viel trinken.
    Schließlich habe es damals
ein Lebensbund sein sollen, ein Bund für das Leben und gegen den Tod – damit
hatte Valentin sich gestern Abend rechtfertigen wollen. Wütend. Enttäuscht.
Verzweifelt. Alles zur Waffe wandelnd, was sein Leben in ihrem Haus damals
ausmachte, Tage, Nächte, heimliche Treffen, Grüße, Blicke, die Bibliothek!
Angefangen von dem Tag, an dem Heinisch, ihr Vater, ihm die Bibliothek zum
ersten Mal zeigte, die hellgrauen Schränke an den Wänden, den großen Packtisch
rechts von der Tür, den kleineren Arbeitstisch in der Mitte des Raumes, und
überall Bücher, auch auf den Fensterbrettern, Bücher stehend und gestapelt,
Bücher geordnet und ungeordnet, Bücher verpackt und ausgepackt, Bücher noch zu
systematisieren, zu inventarisieren, zu katalogisieren, Bücher zu beschriften
und zu bekleben.
    Und kaum,
dass Valentin damals das System ihrer Aufstellung kannte, kaum dass er die
Bücher zu Kurzweil und sittlicher Erbauung alphabetisch reihte und jene zu
Studienzwecken nach Wissenschaften, wobei die Gruppe A für Philosophie stand, B
für Historien, C für Kosmografie und so weiter, wovon Heinisch nur die
Arzneikunde ausnahm, die unmarkiert stand, im vorletzten Schrank zwischen der
Tür in den Nebenraum und dem Packtisch; kaum, dass er sich an die
gelegentlichen und von dem Alten nie kommentierten Störungen gewöhnt hatte, die
darin bestanden, dass, ohne zu klopfen, Judith hereinkam, mit rauschenden
Röcken ihren Arzneischrank ansteuernd, und beim Abendessen erfuhr man dann,
dass sie eins ihrer Kräuterbücher gebraucht hatte, um mit Petersiliensud
Roberts Läuse oder mit Spitzwegerich Elsbeths Husten zu bekämpfen; kaum, dass
er sich an Elsbeths Husten gewöhnt hatte und ihre ständigen
Auseinandersetzungen mit Kuller, dem

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