Die Hure und der Henker
mecklenburgischen Parchim, seinen
Schulbesuch im schlesischen Goldberg, seine Studien in Breslau, Jena und
Wittenberg. Man erinnerte an seinen glanzvollen Aufstieg vom Lehrer zum
Bürgermeister und Richter. An sein Eheglück mit Judith Chemnitz, das leider so
kurz war, und dass daraus seine Tochter Judith hervorging. Man pries seine
Unbestechlichkeit und seinen Gerechtigkeitssinn, erinnerte an die spektakulären
Prozesse, die Spiegelhagener Bauern gegen den Rat der Stadt Perleberg, die Stadt
Freyenstein gegen die Vettern von Rohr. Bürgermeister Benzin, der diesmal seine
sechzehn Kinder zu Hause gelassen hatte, damit sie sich nicht wieder, wie bei
Judiths Hochzeit, von fremden Tellern bedienten, erinnerte zwischen
Gläserklirren und Tellerklappern an den Prozess gegen die Mörder des Dietrich
von Quitzow, zu dem der Kurfürst höchstselbst David Heinisch aus Pritzwalk ins
Richteramt rief. Der Rektor lobte Heinischens Vorbild als Lehrer. Seine
pädagogischen Prinzipien gälten an der Schule noch immer. Und wer kenne nicht,
sagte Richter Scheplitz aus Wittstock, während alle dem Hühnerfrikassee oder
dem Bratfisch zusprachen, wer kenne nicht die »Neue practica iuris« oder den
Anti-Machiavelli, jene großartige Schrift über den »Staatslenker als Exponenten
sittlicher Ideen«!
Scheplitzens
Rede, darin waren sich Judith und Valentin später einig, war schön. Wie er auf
die vermittelnden Gaben des Verstorbenen, seine Frieden stiftende Haltung,
seine diplomatischen Fähigkeiten, seine Versöhnungsbereitschaft verwies. Wie er
einen Zusammenhang herstellte zwischen dem Trotzendorf’schen Gymnasium in
Goldberg, den dort üblichen Schülergerichten und Heinischens späteren
juristischen Erfolgen. Wie er das korrekte Latein betonte, über das bei diesen
frühen rechtskundlichen Übungen in Goldberg die Lehrer wachten.
Auch Scheplitzens Blick auf
Sigismund Schaum, stellten sie später fest, hatte ihnen gefallen, denn alle
wussten, dass Schaum ein Lateingegner war.
Und die Störungen? Hatten sie
nicht gestört. Weder die erste, da Elsbeth bei der Erwähnung Goldbergs in
lautes Schluchzen ausbrach, noch die zweite, da sich an dem zornigen Hausknecht
Simon vorbei vier schwarz gekleidete Männer den Einlass ertrotzten – eine
Abordnung der Spiegelhagener Bauern, wie sich herausstellte, die zwar von
Heinischens Tod, aber nichts von seinen letzten Verfügungen wussten, folglich
einen riesigen Kranz mit sich schleppten, und wo waren denn die anderen Kränze,
wo war denn das Bild des Verstorbenen? Sie suchten das Bild. Und legten den
Kranz schließlich in der Mitte des Hufeisens nieder. Judiths Freundin Benígna,
die neben Valentin saß, hatte den Blick von einer Leberwurst gehoben und fragte
leise: »Und nun?«
Judith zeigte sich dem
Vorgang gewachsen. Sie dankte den vieren. Sie sei zwar damals noch Kind
gewesen, aber ihr Vater habe ihr von ihnen erzählt. »Ich bin mir dessen sicher,
dass Eure Dankbarkeit ihn gefreut hätte. Es wäre in seinem Sinne, wenn Ihr noch
bliebet. Simon wird Euch gleich Stühle bringen. – Jenne! Vier Teller!«
Was sie
wirklich störte, und zwar zunehmend nach dem Erscheinen der Bauern, war das
Gefühl, dass, je weiter das Mahl mit Fisch und Frikassee und Blutwurst und
Braten und Käseauflauf und Eiercreme schritt, immer mehr die Falschheit aufkam.
Wobei nicht
die Reden falsch waren, sondern die Redner.
Leute, die
Heinisch Steine in den Weg gelegt hatten, wo sie nur konnten, sprachen nun von
dem Glück, seine Weggenossen gewesen zu sein. Leute, die ihn, als er noch jung
war, mit Schriften beauftragten, aber angemessene Honorare für unwichtig
hielten, wollten sein Talent schon ermessen haben zu einer Zeit, als noch
niemand ihn kannte.
Überhaupt,
stellten sie, Valentin und Judith, später übereinstimmend fest, hatte man
Heinischens viel gelesene Schriften alle irgendwie ein bisschen mitgeschrieben,
seine berühmt gewordenen Prozesse mitgewonnen, sich mitentschlossen zu seinen
Spenden – des Taufsteins, der neuen Schule, der Bibliothek.
Und die Bibliothek, die
Heinisch als Bibliotheca publica der Stadt vermacht hatte, mit der Auflage,
Valentin als Bibliothekar zu besolden und für sie ein eigenes Gebäude zu
finden, war noch ein weiterer Grund für Valentins Entschluss gewesen, der
Rederei ein Ende zu machen.
Später
vermochte er Judith nicht mehr zu sagen, wann er den Entschluss denn fasste und
ob’s einer war. Ob nicht vielmehr sein Aufstehen, sein Klopfen mit dem
Löffelstiel an ein
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