Die Hure und der Henker
war es
ihr entschieden zu hell. Der Komet half den heimkehrenden Hochzeitsgästen, das
Geld für die Laternenträger zu sparen, und die Jungen, die niemanden
heimleuchten durften, waren mindestens genauso ernüchtert wie sie, der jetzt
zwar nichts mehr weh tat, aber dass es »ein Gefühl wie Weihnachten« sei, wie
Kober sagte, fand sie nun gar nicht.
Wie lange
dauerte die Weihnachtsfeier denn noch?
Es störte sie auch, dass das
Bett wackelte und sein Kopfende an die Wand stieß mit Rabumm – Rabumm – Rabumm.
Sie ahnte nichts Gutes. Dahinter schlief Elsbeth, von deren Durchtriebenheit
Kober sich noch keinen Begriff machen konnte.
Und richtig!
Als das Rabumm – Rabumm – Rabumm in ein rasches Bumm-Bumm-Bumm-Bumm-Bumm
überging, ertönte hinter der Wand ihre Stimme.
»Kinderchen!
Was macht ihr denn da?!«
Die
Unannehmlichkeiten der Hochzeitsnacht hatten sich aber nicht wiederholt. Schon
nach wenigen Tagen war Judith nicht mehr bereit gewesen, es Anna Schaum
gleichzutun, von der man sich erzählte, sie habe ihrem Manne die eheliche
Beiwohnung auf ein halbes Jahr untersagt.
Nicht, dass
sie sich nicht auch noch eine Steigerung vorstellen konnte, ja, ihr Behagen,
wenn Kober sich ihr näherte, zu ihr herüberkam, sie an sich zog, schien ihr
geradezu bestimmt, sich noch ein bisschen zu steigern, aber sie hatte doch
schon etwas mehr Verständnis für leichtsinnige oder wagemutige Jungfern. Sie
konnte die Bäckerstochter in Wittenberg, wo Kober studierte, ein bisschen
besser verstehen, die für das runde Ergebnis ihres Leichtsinns mit einer runden
Summe abgefunden worden war. Nur konnte sie das keinem erzählen. Nicht mal
Benígna, von der sie das mit der Bäckerstochter, dem runden Säugling und der
runden Abfindungssumme überhaupt wusste.
Wenn es nach ihr ginge,
dachte sie, würden die Weihnachtsfeiern nur aus dem Anfang bestehen. Aber Kober
brauchte offenbar sein Rabumm.
Der Türklopfer! Judith zuckte
zusammen. Elsbeth wollte aufstehen. »Nein, bleib hier.« Ulla war ja unten,
Simon auch, und nein – die Männer waren alle auf dem Hof, denn das neue Pferd
von gestern wurde mit dem neuen Sattel von heute gesattelt und Jenne und Ulla
konnten aus der Küche nicht weg.
»Bleib
sitzen, Elsbeth. Ich geh schon.«
Sie habe damals, erzählte
Judith Valentin später, fast einen Herzschlag bekommen, als sie ihn und Vyfken
vor der Tür stehen sah.
Denn sie hatte, dass er
kommen sollte, vergessen! Sie hatte sich zwar merken können, wann der Jahrmarkt
vor Matthäi war und dass neue Dienstboten immer Michaeli einzogen. Aber dass
Valentin am Jahrmarktstag vor Matthäi einziehen sollte, weil der zufällig auch
mit der Einführung des neuen Stundenplans in der Schule zusammenfiel und er den
Dienstag immer schulfrei hatte, was in diesem Fall auch für seinen Umzug gut
war, das nicht!
Valentin
merkte von ihrem Schreck nichts. Er verstand nicht, was sie sagte, denn hinter
ihm und Vyfken rasselte einer der letzten Wagen Richtung Wittstocker Tor. Das
rasch verborgene Erstaunen in ihrem Gesicht, das er sehr wohl wahrnahm, aber
auf Vyfken bezog, fand er natürlich, war er doch neunzehn und wurde von seiner
Mutter gebracht. Ihrer Geste entnahm er, dass sie eintreten sollten.
Auch Vyfken
hatte damals von Judiths Schreck nichts bemerkt. Sie war schon in Küchen
solcher Häuser beschäftigt gewesen, aber noch nie in deren Dielen mit ihrer
getäfelten Pracht, auf ihren Treppen mit geschwungnem Geländer, geschweige denn
auf Galerien und in anderen Räumen, gewesen.
Während Judith, als sie noch
in der Diele waren, wo sie den beiden Platz anbot, sich über Elsbeths Neugier
diesmal aufrichtig freute, weil sie so tun konnte, als sei deren Erscheinen auf
der Galerie nur das Signal zu einer letzten Kontrolle – »Einen Augenblick
bitte, ich geh nur mal nachsehen, ob alles in Ordnung ist« –, drehte Vyfken den
Kopf wie ein Vogel: rasch, hierhin, dorthin, rechts, links, erfasste vom
Fremden so viel sie nur konnte, die Konsolen mit den schönen Tellern und
Krügen, den großen Spiegel in breitem Rahmen, einen Scherenstuhl, dessen Füße
und Armlehnen in Löwenköpfen ausliefen, die Stühle mit Ziernägeln, den wuchtigen
Tisch und die schweren Vorhänge vor den Türen, das schön geschnitzte
Treppengeländer, die Galerie, die oben rundumlief und von der, soweit Vyfken
sehen konnte, Türen abgingen, die Lampe über dem Treppenfuß in Gestalt eines
Sterns.
Judith war
mit raschelnden Röcken die Treppe hinaufgeeilt, hatte
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