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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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Glas, sein Reden von selbst gingen, dass auch er dem
Abgeschiedenen danke. Dass er ihm auch im Wortsinn ein magister, ein
Lehrer, gewesen sei. Ihn unter anderem ein Gebet gelehrt habe. Das sei sehr
kurz, darum schlage er vor, es mit ihm zu beten. Und dazu senkte er den Kopf
und faltete unmissverständlich die Hände.
    Nanu!
    Was war das
denn?!
    Der Pfarrherr zog die Brauen
hoch. Kobers Vater und Sigismund Schaum sahen sich an. Richter Scheplitz,
bereitwillig, senkte den Kopf. Schon stellten auch andere die Gläser ab, legten
die Messer hin. Na gut, wenn’s denn sein musste…
    Und dann
sprach Valentin laut und deutlich und, wie Judith später fand, mit nicht zu
überhörender Erbitterung in der Stimme:
    »Ruhe und
Stille
    ist Gottes Wille.
    Das in uns,
Herr,
    auch erfülle.
    Amen.«
    »Wumm!«,
flüsterte neben ihm Judiths Freundin Benígna.
    Denn danach war schlechterdings
kein Reden mehr möglich. Es hätte eines Stärkeren als des eigentlich an der
Reihe gewesenen Konrektors bedurft, so zu tun, als sei nichts gewesen. Er
faltete, der Konrektor, danach mit enttäuschtem Gesicht seinen Stichpunktzettel
zusammen, stand auf, um zu sagen, er möchte nun lieber auf seine Rede
verzichten. Und auch die Folgenden verzichteten lieber.
    Man sprach der Käsepastete
mit Honig zu. Man löffelte die Eiercreme und griff nach den Nüssen. Man redete
auch miteinander noch, und zwar meistens nicht zu Valentins Vorteil. Aber die
Veranstaltung war dann doch bald zu Ende.
    Man brach
gemeinschaftlich auf. Judith, die nach Valentins Auftritt vor allem mit Elsbeth
und Kober geredet hatte, gab bei der Verabschiedung das Rezept für die
Eiercreme weiter. Nein, nein, das müsse Anna Schaum sich nicht aufschreiben.
Auf einen halben Liter honiggesüßter Milch fünf Eier verrühren – das behalte
sie so. Sie standen nicht weit von der Treppe.
    »Und diese
Masse über dem Feuer dann stocken lassen.«
    Valentin ging vorbei. Judith
sprach mit den Schaums.
    »Danke. – Auf
Wiedersehen. – Danke. – Besten Dank auch. – Kommt gut nach Hause.« Es dauerte
noch, bis wirklich Ruhe einkehrte.
    Aber dann, am
Abend, als wirklich alles ganz ruhig war, die Gäste verschwunden, die Tafel abgeräumt,
Teller und Gläser wieder auf den Konsolen, dann, als die Spiegel wieder die
großen Fußbodenfliesen und die prunkvollen Vorhänge spiegelten und wirklich im
ganzen Haus Stille herrschte und Valentin vor dem Schlafengehen noch einmal
hinausgehen wollte, kam Judith im selben Moment aus der Küche.
    Sie hatte
nachgesehen, ob alles in Ordnung, die Lebensmittel weggeschlossen und die
Herdglut mit Asche bedeckt war.
    Am Fuße der Treppe trafen sie
aufeinander. Er kam herunter, sie wollte nach oben. Die Kerze in dem rot
verglasten eisernen Stern über ihnen brannte noch.
    Sekundenlang
schien es, als wollten sie aneinander vorbei. Aber Judith trat Valentin in den
Weg.
    Und eigentlich sagte sie gar
nicht viel.
    Wenn nicht
die Stimme so anders geklungen hätte, so fremd.
    »Ich danke
Euch, Valentin.«

 
    6
     
     
     
    Verliebt man
sich in Augen und Haar? In blaue Augen, die Judith noch nicht öffnen kann,
Brauen und Wimpern versengt, die geröteten Lider geschwollen. In rotbraune
Haare, eine lange, knochige Gestalt, größer als die anderer Männer, die unser
Retter jetzt zu finden bemüht ist, da drüben in dem geplünderten Pritzwalk?
    Verliebt man
sich in das Rauschen von Röcken? In die Tritte von Schuhen ähnlich jenem, den
man beim Aufräumen nach der großen Hochzeit fand, unter den Feuerspritzen im
Gewölbe? In leichte Schritte, die auf der Galerie näher kommen, an der Tür zur
Bibliothek vorbeiführen, und man weiß ganz genau, wer dort geht? In Tritte von
Stiefeln auf der Treppe, das Zuschlagen der Bohlentür unter dem Erker, eine
lange, schwarz gekleidete Gestalt, der man, gegen die Sonne im Osten blinzelnd,
vom Erker nachsehen kann? In eine Baritonstimme in der Küche, wo jemandem etwas
Metallenes aus der Hand fällt und ihr Besitzer es geschafft hat, in der Gunst
beider Köchinnen gleichermaßen zu stehen? Montags, mittwochs und freitags ist
Valentin Jenne gern mit Schüsselauskratzen behilflich; dienstags, donnerstags
und samstags leistet er denselben Dienst Elsbeth; und sonntags strahlen beide,
wenn er vor oder nach den Mahlzeiten bei ihnen am Herd hockt und Essensreste
und Kuchenränder vertilgt.
    Vielleicht
sollte man außer dem Füttern von Hund und Kater auch das von Lehrern in der
Küche verbieten.
    Verliebt man
sich in den Fleiß, mit dem

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