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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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aufschien: dass so ein Jahrmarkt sich in Kobers
Begleitung ganz anders ausnahm als in Begleitung der Freundin Benígna, mit der
Judith immer vor ihrer Heirat dort gewesen war.
    Hatte sie
sich an dem Stand mit dem Marzipan mit Benígna immer mühsam nach vorn kämpfen
müssen, machte man Kober und ihr willig Platz. War sie mit Benígna gönnerhaft
bis wohlwollend gegrüßt worden, grüßte man sie mit Kober jetzt äußerst
respektvoll, und den langhaarigen Kerl an den Kletterstangen erkannte sie fast
nicht mehr wieder! Kein unverschämtes Grinsen mehr wie beim Jahrmarkt vor Petri
und Pauli, kein abschätzender Blick mehr wie auf sie und Benígna. Statt der
Bemerkung über die Nützlichkeit einer Stange zwischen den Beinen eine tiefe
Verbeugung mit gezogenem Hut. Eine Geste zu den Stangen hin, ob der Herr es
versuchen wolle…? Ähnliches hatte seinerzeit auch Elsbeth erlebt. Es war ein
Unterschied, ob man verheiratet war oder nicht, nur Frau oder die Frau eines
Mannes zu sein.
     
     
    Am meisten
Zeit, sagte Judith, habe sie wieder für ihren Vater gebraucht, und Kober sei
dabei so geduldig gewesen!
    Die Sammlung
ihres Vaters von Fliegenden Blättern war umfangreich. Sie stand vor der
Auswahl, wusste nicht, ob er die Abbildung eines Meerweibs schon hatte. Oder ob
er nicht lieber statt des Kalbs mit den vier Augen das Schaf mit den zwei
Hinterteilen gehabt hätte. Geduldig half Kober ihr suchen.
    Wenn unser
Vater – er sagte »Unser Vater«! – Tränen lachen könne über Affenmenschen,
vielleicht würde ihn dann auch eine bärtige Jungfrau zum Lachen bringen? Oder
wie sei es denn mit dem hier, dem Ichneumon? Den er, Kober, für ein Schwein
halten würde, wenn nicht darunter stünde, dass der Ichneumon Schweine fresse,
aber er fresse auch Mäuse, Käfer, Eidechsen »und das Tierlein Camelion«, lese
er. Oder vielleicht finde man auch einen Holzschnitt von dem Tierlein Camelion?
Oder das hier? Der Elefant, wie wär’s damit?
    Judith,
vorgebeugt, betrachtete Menschenfresser, Zwerge und Riesen. Sie ging die
politische Abteilung durch mit Spottversen auf allerlei Fürsten, kehrte dann
wieder zu den Missgeburten mit überzähligen Köpfen und Schwänzen zurück, stand
erneut vor den wilden Tieren, während Kober ihr über die Natur und die
Eigenschaft des Elefanten vorlas, dass der Elefant keusch und schamhaft sei.
    Das Tier, das
sie vor sich sah, war gut gezeichnet. Es war unverkennbar ein Reh, obwohl es
statt mit einem Gehörn mit einer knöchernen Krone geziert war. Es sei so zahm
und freundlich gewesen, las sie, »dass es mit allem Volk auf der Straßen
lauffet daher«. Sie habe sich zwischen dem dahergelaufenen Reh und dem
schamhaften Elefanten lange nicht entscheiden können.
    »Und was hast du genommen?«
    »Den
Elefanten.«
     
     
    Damals, als
Valentin ins Haus kam, war Judith mit der Neuordnung aller Dinge beschäftigt.
Dazu gehörte der vergrößerte Haushalt. Dazu gehörte die Versöhnung zwischen
Jenne und Elsbeth. Dazu gehörten ihr gesteigertes Ansehen und dass Kober selbst
in ihrem Ansehen stieg. Ihr Vater hatte sie richtig beraten. Wie freundlich
Kober gewesen war bei den Fliegenden Blättern. Die Schamhaftigkeit des
Elefanten war allerdings nur das eine. Das andere war ihre eigene Schamhaftigkeit.
    In der
Hochzeitsnacht, als Kober sich sein Mannesrecht nahm, und zwar ziemlich schnell
und prompt, sodass sie keine Zeit mehr hatte, zu überlegen, welche
Vorkehrungen, außer das Kleid abzulegen, nun als Nächstes zu treffen seien, und
vor allem ohne ein Wort über den Kometen oder die zurückbleibenden Gäste, denn
außer ihnen war bloß noch Elsbeth gegangen –, und als hätte nicht eine Stunde
vorher erst Elsbeth mit ihrem Riechfläschchen kommen und Benígna
beschwichtigend und beruhigend auf sie einreden müssen, des Inhalts, dass sie,
Judith, doch nun mal wieder zu sich kommen, dass sie sich nichts daraus machen
solle, dass es Kometen schon immer gegeben habe und auch schon immer solche wie
diesen, ja dass manche davon sogar als Glückszeichen galten, dass einer,
»Caesaris astrum« genannt, im alten Rom sogar göttliche Ehren genoss –, in der
Hochzeitsnacht, als Kober sie auch genoss, als er sich ihrer bemächtigte,
wortlos und grob, und all ihre Träume zerplatzten: Das sollte es sein? Darum machte die Welt so viel Wesen? Dafür bezahlten leichtsinnige oder
dumme oder wagemutige Jungfern mit der Angst vor Schwangerschaft und
lebenslanger Verachtung? Was hatte sie sich bloß vorgestellt! Außerdem

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