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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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Nacht,
Valentin«, sagten die beiden. Kober laut, Judith leise.
    »Gute Nacht!«
    Valentin ging
die Galerie entlang, stieg die schmalere Treppe an deren Ende empor. Wälzte
sich bald danach auf dem Bettstroh, stand wieder auf und sah zum Fenster
hinaus. Dann suchte er Werders Brief. Auf dem Tisch, dem Bücherbord. Fand ihn
zuletzt auf der Truhe: Er hatte beim Ausziehen seine Sachen darübergelegt. Den
ganzen Tag sollte Judith keine Gelegenheit gehabt haben, den Brief zu lesen?
Und jetzt lag sie bei Kober.
    Er zerknüllte
den Brief, warf ihn quer durch die Stube. Er riss den neuen Stundenplan von der
Wand. Er fegte seine Bücher vom Bord und seine Hefte vom Tisch. Er schleuderte
seine Sachen von der Truhe und trampelte auf ihnen herum.
    Und fühlte
sich Judith verbunden.
     
     
    Er wusste von
ihrer Angst damals nichts. Sie hielt es für unklug, ihm davon zu erzählen.
Wohin mit der Angst? Zu Kober? Das war erst recht unmöglich. Zu Elsbeth? Um
Himmels willen! Doch zu Valentin? Nein, das ging nicht, das machte es auch
nicht besser. Nach rechts? Nach links? Nach oben? Nach unten?
    »Judith, ich bedränge Euch
doch nicht. Ihr sollt mir doch nicht gehören. Ihr sollt nur zu mir
gehören.«
    »…«
    »Auch auf dem
Faulbett.« Er sprach es lieber doch aus. Zwischen ihnen sollte es keine
Missverständnisse geben.
    Er lächelte
sogar. »Kober wird ja wohl nicht plötzlich das Reisen einstellen.«
    »… Ich glaube, das schaffe
ich nicht, Valentin… Ich habe ihm gegenüber ein so schlechtes Gewissen… Und
Euch gegenüber auch, ich…« Sie weinte.
    Erschrocken
stand er auf, schloss die Tür zum Schrank mit den Kräuterbüchern, um neben sie
treten zu können, redete auf sie ein. »Judith! ›Ehebruch‹ ist doch ein
Scheinwort! Wir brechen die Ehe doch nicht. Sie zerbricht doch nicht. Sie
besteht doch noch. Sie ist nicht gebrochen. Und wir werden nichts tun, das sie
gefährdet.«
    »Das haben
wir doch schon.«
    Er glaubte, sie habe nur ein
schlechtes Gewissen. Er wusste nichts von der Angst, die sie hatte und die
durch Benígna geschürt worden war.
     
     
    »Judith, ich bedräng Euch
auch nicht.«
    »Nein?«
    Aber wenn er
sich freute, kam er zu ihr. Und zwar, um mit ihr seine Freude zu teilen. Und
wenn er missgestimmt war, kam er auch zu ihr. Um sich von ihr froher stimmen zu
lassen.
    Ging es ihr gut, kam er zu ihr, weil sie dann ja Kraft genug hatte, sich um ihn und was
ihn erfüllte zu kümmern. Ging es ihr schlecht, kam er auch zu ihr, denn dann
machte er sich Sorgen und musste sie trösten. Und dass Kober und Baltzer und
Elsbeth und Ulla, dass Jenne und Anton und Simon und Robert, dass ihre
Schwiegermutter und die Chemnitze, dass die Boten, die Kober sprechen wollten,
die Ratsdiener, die ihn sprechen wollten, und die Ratsherren, die ihn auch
sprechen wollten, ganz zu schweigen von dem Bauern, der in jedem Jahr den
Weißkohl lieferte, dem anderen, der die Martinsgans brachte, den Beginen, wenn
sie Kleider für die Armen sammeln kamen – dass die auch alle zu ihr kamen, sei
nur am Rande vermerkt.
    Nein, nein,
es bedrängte sie nichts. Es bedrängte sie niemand. Sie sah nur in den Spiegel.
Sie sah nur in den Kalender. Sie betastete nur ihren Bauch und die Brüste.
    »Du, sag mal,
Simon, wann genau haben wir das Hoftor gestrichen?« Es war der Tag, an dem
Kober aus Augsburg zurückgekommen war.
    Sie hatte sich ihrem Mann
danach oft entzogen. Mal hatte sie Müdigkeit vorgeschützt, mal ihre
Wadenkrämpfe, mal ein Herzrasen, mal hatte sie ihren Kopfschmerz genommen.
    Und nun, bei
den Mahlzeiten, verglich sie die Männer. Kobers graublaue Augen mit Valentins
braunen, Kobers fast schwarzes Haar mit Valentins braunrotem Haarschopf. Und wenn
das Kind braunrote Haare und braune Augen und Valentins Hasenzähne bekäme?
     
     
    Benígna
schürte die Angst. Sie kam eines Nachmittags, eingelassen von Ulla, und wollte
Judith unter allen Umständen ungestört sprechen.
    »Ich muss
unbedingt mit dir reden. Wo sind wir allein?« Es war, obwohl schon Ende
September, noch warm und Judith schlug den Garten vor. Sie gingen über den Hof,
wo Robert sich mit dem neuen Hund zu befreunden versuchte, denn Diso war, ganz
besonders von Elsbeth und Judith betrauert, im Sommer gestorben. Sie
beauftragten ihn, nachdem er den Ärger über das böse Hündchen, böse Hündchen,
böse Hündchen und die Freude über die feine Jungfer, feine Jungfer, feine
Jungfer überwunden hatte, damit, die Gartentür zu bewachen. »Wir wollen nicht
gestört sein,

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