Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
Vom Netzwerk:
freilich nicht geholfen hat, denn bei dir ist kein Ding unmöglich,
du setzt dich ja sogar über Steine und Essig hinweg; ich, die ich gelernt habe,
wochenlang Gras und Melde zu essen und auf dem Stroh mit den Freiern dann
heimlich den Arsch auseinanderzuziehen, damit sie meine reichlichen Fürze nicht
hörten – riechen konnten sie sie ja sowieso nicht, weil ihr eigener Gestank sie
wie eine Mauer umgab –, ich lache nicht über Judith. Ich mache mich nicht
lustig über sie. Ich lache doch bloß aus Verzweiflung.

 
    16
     
     
     
    Ob sie sich
gestern noch trafen, ob Valentin seine Drohung wahr machen konnte, sie mit dem
Gewesenen zu erpressen, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass auch Judith die
Angst kennt, dass sie sie genauso gut kennt wie ich und dass sie gestern
trotzdem dazwischenging. »Weg!«, schrie sie. »Weg von dem Kind!«
    Sie lernte
die Angst damals kennen, als Valentin ihr mit dem Lebensbund kam.
    »Judith,
lasst uns einen Bund für das Leben schließen. Für das Leben und gegen den Tod.«
    »Und wie
stellt Ihr Euch das vor?«
    »Na, Ihr
kennt ihn doch. Den täglichen Tod. Der ein Lächeln tötet, eine Freude tötet,
eine Hoffnung. Der Lebendigsein auf Vorhandensein reduziert. Der Möglichkeiten
vereitelt – im Namen von Vorschriften, die fragwürdig sind, nach deren Sinn
aber kaum jemand fragt.«
    »Ja, wogegen
Ihr seid, weiß ich. Aber wie stellt Ihr Euch denn das praktisch vor?«
    »Dass wir
verbunden bleiben, ich aber Euer Leben nicht störe.«
    Das war es. Sie ahnte es.
    Und es war
gut gemeint. Es stand sogar im Einklang mit den Gedichten, die er machte, den
Büchern, die er las, und dem traurigen Schicksal des Dichters Tasso, von dem
ihm Diederich von dem Werder schrieb, der nach seiner in Ungnaden erfolgten
Entlassung aus hessischem Dienst auf seinem Schloss in Reinsdorf saß und das
»Befreite Jerusalem« übersetzte.
    Es stand nur
nicht im Einklang mit dem, was Valentin tat. Nämlich nach einem kurzen
Unterrichtstag, an dem er zudem auch noch eine Stunde früher hatte gehen
können, weil man die Jungen zur Probe für das Schuldrama brauchte, freudig mit
Werders neuestem Brief zu Judith in das Vorratsgewölbe zu stürmen.
    Dort kniete
Judith neben Elsbeth im Kerzenlicht vor einem Sandhaufen, der das Wurzelgemüse
für den Winter aufnehmen sollte. Sie hatte gehofft, bis zum Mittagessen fertig
zu werden, wozu sie sich aber beeilen musste. Auch hatte sie es nicht gern,
wenn andere das Gewölbe betraten. Warum wohl ließ sie den Sandhaufen nicht von
Jenne, Ulla oder Simon bestücken. Warum trug nur die Hausfrau den großen
Schlüsselbund zu allen Vorräten am Gürtel. Und außerdem, weil Judith nun die
Kerze zum Lesen des Briefes brauchte, konnte Elsbeth angeblich die Möhren und
die Sellerieknollen nicht mehr erkennen.
    Sie gab den
Brief zurück. »Später, Valentin, ja?«
    Einen Bund für das Leben! Ihr verbunden bleiben, sie aber nicht stören!
    Er störte nicht. Er verzog
keine Miene, wenn Ulla beim Auftischen Blödsinn redete. Trine Strehlen, die man
gestern gefangen nahm, könne ganz bestimmt Wetter machen. Immer wenn der Blitz
einschlug, sei Trine Strehlen in der Nähe gewesen.
    Er sagte
nichts. Unbewegten Gesichtes saß er daneben, wenn Kober beim Löffeln der
Eiercreme Judith zu hofieren begann. Wenn er ihr die Hand auf den Unterarm
legte, ihren Blick suchte, über Müdigkeit klagte. Er versuchte, an anderes zu
denken, wenn sie nach dem Essen nicht in die Bibliothek kam.
    Nicht stören,
aber ihr verbunden bleiben nach einem Nachmittag langen Wartens. Die neuen
Bücher waren längst ausgepackt und inventarisiert, das Tintenfass längst
gereinigt, die nächsten Seiten der Kladde liniert. Warten mit Werders langem
Brief, der eine Einladung nach Reinsdorf enthielt, auf dem Tisch. Warten nach
dem müden Gang über die Treppe nach oben. Nach dem Verriegeln der Tür, dem
Abräumen der Truhe, dem Herausnehmen der »Fama Fraternitatis«. Er tröstete, er
berauschte sich wieder an der »Großen Reformation«, die notwendig sei, und an
der Herrlichkeit und dem Adel des Menschen.
    Er setzte
sich an seinen Tisch vor dem Fenster. Die Skripte seiner Schüler waren weniger
tröstlich und gar nicht berauschend. Er las sie. Heinrich Benzin hatte sich
noch immer nicht merken können, dass das Bouleuterion bei den Griechen das
Rathaus war. Er ordnete seine Bücher neu. Er nahm den alten Stundenplan von der
Wand. Er zeichnete sich einen neuen.
    Aus dem Haus
zu gehen empfahl sich nicht. Womöglich hätte

Weitere Kostenlose Bücher