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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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über sie gebrochen, dem Scharfrichter Rudloff
der Befehl erteilt wurde, das Urteil zu vollstrecken. Alle sahen mit an, wie Rudloff
die Fackel an die Strohballen hielt. Wie das Feuer vom Stroh auf das Holz
übergriff. Wie Trine Strehlen nicht einmal mehr weinte, was sie vorher noch
getan hatte, eine mittelgroße Frau mit hellbraunen Augen, deren Mann, ein
Maurer, vor ein paar Jahren gestorben und deren Tochter irgendwo in der Ferne
verheiratet war. Die der Mutter auch nicht mehr hätte helfen können, als alle
zusahen und der Rauch deren irres Schreien erstickte. Alle sahen mit an, wie
Trine Strehlen nach Artikel 109 der geltenden Halsgerichtsordnung verbrannte.
Nach Paragraf 98 der Pritzwalker Polizei-Ordnung. Nach allen Regeln, die
einzuhalten waren. Es wurde keine davon übertreten. Es wurde gegen keine
Gesetze verstoßen. Es wurde kein Fehler gemacht.

 
    17
     
     
     
    Ich hielt
gestern für möglich, dass Valentins Vorhaben gelingen könnte. Dass er, falls er
nur überzeugend genug aufträte (wenn Ihr nicht, dann!), Judith tatsächlich
bewegen könnte, ihren Mann zu bewegen. Wenn er sie nur gründlich erinnerte,
ihre Ängste von damals wieder wachrief. »Wisst Ihr noch? Damals, als wir noch
jung waren? ›Ruhe und Stille/ist Gottes Wille‹ und danach war es zwischen uns
nicht mehr ruhig und still.«
    Ich hielt es
für möglich, dass er den Schmerz wieder wachrufen, die Wunden wieder aufreißen,
die Erinnerung wieder in Angst wandeln konnte.
    Wenn Ihr
nicht, dann! Wenn Ihr Euren Mann nicht umstimmt, wenn Ihr nicht dafür sorgt,
dass er die Stadttore doch öffnen lässt, dann werde ich alles verraten.
    Dann wollte er das mit dem
Fleiß auf dem Faulbett verraten. Das mit der Tochter: dass es seine war, die
Fehlgeburt damals. Dann sollte Kober sich vor den Kopf schlagen. Wie oft hatte
Judith sich für Valentin eingesetzt! Wie blind war er gewesen! Wie taub! Für
wie dumm hatten sie ihn gehalten! Wie war er betrogen!
    Und es spielte
für Valentin gestern Abend, als er nur noch die Angst kannte, seine: sterben
zu müssen, ohne vorher gelebt zu haben, es spielte für ihn keine Rolle, dass er
ihr nie gleichgültig gewesen war. Wie sonst wäre das mit dem Blech zu erklären?
Einem Blech voller Pflaumenkuchen, nicht von Elsbeth, sondern von ihr selbst
gebacken und ihm, mit einem rot-weiß karierten Tuch bedeckt, bis hinauf in
seine Stube getragen. Sie hatte ihn durch eine unbedachte Bemerkung gekränkt.
Sie wusste noch, womit man bei ihm etwas gutmachen konnte. Nur nahm sie statt
Zucker zuletzt in der Aufregung Salz. Essen konnte man den dick mit Salz
bestreuten Kuchen nun nicht mehr. Aber sie trug ihn nach oben, um Valentin das
Versöhnungsgebäck wenigstens sehen zu lassen.
    Es war ihr nicht gleichgültig.
Wie er an seinem Arbeitstisch saß: die Arme über einem aufgeschlagenen Buch
verschränkt und den Kopf auf die Arme gelegt. Schlief er? Nein, er hob den
Kopf, aber er hatte ihren Gruß nicht erwidert und nun sah er durch sie
hindurch.
    »Valentin? Was ist denn
los?«… »Geht es Euch nicht gut?«… »Ist etwas mit Eurer Mutter Vyfken?«… »Habt
Ihr wieder Ärger in der Schule?«… »Valentin, nun sagt doch was!«
    Er sah sie
damals kurz an, wandte den Blick aber gleich wieder ab, und seine Augen glänzten
verdächtig.
    Sie trat
neben seinen Stuhl, legte ihm die Hand auf die braunrote Mähne. »Valentin! Sagt
doch! Was habt Ihr denn?«
    Er schluckte
und schluckte und konnte nicht sagen, dass er nichts hatte.
    Und dass es
das war.
    Dass er nichts hatte, nichts!
    Dass er
diesem Buch, das da vor ihm lag, gerade entnehmen musste, dass er jahrelang
einem Trugbild nachgejagt war. Dass er sich Gleichgesinnte, Verbündete nur
eingebildet hatte! Dass es für ihn nicht einmal den Trost gab, irgendwo in der
Welt noch Brüder zu haben!
    Sie zog das
Buch unter seinen Armen hervor. »Turris babel sive iudiciorum de fraternitate
Rosaceae crucis chaos«, buchstabierte sie mühsam und erriet, dass es um die
Brüder vom Rosenkreuz ging. Um jene Brüder, die Valentin berufen würden, dessen
war er sich sicher gewesen. Um jene, die einen von ihnen Auserwählten erst aus
dem Verborgenen beobachteten, dann ihm ein Zeichen gaben und ihn zuletzt in
ihren Orden aufnahmen.
    Sie las, eine Hand auf seinem
Kopf, in der anderen das Buch, und sie glaubte nicht, was sie las. Aber es
stand dort tatsächlich: »Hört, ihr Sterblichen, vergebens erwartet ihr die
Brüderschaft, Die Komödie ist aus. Die Fama hat sie aufgeführt und auch

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