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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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damals war und zu dem auch der Augenblick gehörte, da er
Judith, zwei Wochen nach der Fehlgeburt, zusammen mit Kober besuchte, an der
Tür stehend, während Kober auf ihrem Bettrand saß und ihr das neue Armband
anlegte, und der Tod, gegen den Valentin damals war und zu dem für ihn alle
Augenblicke gehörten, in denen Judith ihm auswich, in denen sie ihn nicht mehr
verstand, sind jetzt, wo über Leben und Tod eben nicht vom Eisen entschieden
wird, wie Kober in seiner Rede vorgestern sagte, sondern von denen, die das
Eisen in den Händen halten, die es in Männer, Frauen und Kinder stechen und
dabei zwischen Standes- und anderen Personen keine Unterschiede mehr machen,
das Leben, für das Valentin damals war, konnte Judith danach nicht mehr führen.
    Sie sagte
Valentin auch nicht, dass es seine Tochter war, die sie verlor. Er, dem Elsbeth
das Geschlecht des toten Kindes ausgeplaudert hatte, als er wieder einmal
Kuchenteig schleckend bei ihr in der Küche saß, ahnte es, doch hoffte er, sie
zu schonen, indem er sie nicht danach fragte. Außerdem hoffte er immer noch auf
das Faulbett. Sie würde sich ja wieder erholen. Er kaufte Lebkuchen auf dem
Martini-Jahrmarkt, ein Herz für Vyfken und eines für Judith. Letzteres
versteckte er verschmitzt zwischen dem Kräuterbuch von Tabernaemontanus und dem
»Botanischen Theater« des Franzosen Bauhin und wollte nicht sehen, als sie es
fand, dass ihr Lächeln kein echtes war. Die Stunden, die sie in der Bibliothek
zubrachten, wurden zwar etwas seltener, denn Baltzer werde größer, sagte
Judith, und damit wüchsen halt auch die Ansprüche an sie und auch die
Hauswirtschaft, da durch den Krieg immerfort alles knapper werde, koste mehr
Zeit.
    Nicht sie,
sondern Kober wies Jenne an einem Donnerstag, an dem sie die Küche beherrschte,
beim Essenauftragen zurecht. »Aber Jenne! Welches Interesse sollte denn jemand,
der im Gefängnis sitzt, an unseren Hühnern haben!«
    »Sie kann sie
doch wegzaubern. Hexen können das doch.«
    »Und wenn du jetzt nicht die
Heringe herzaubern kannst und wenn du nicht aufhören kannst, dich in unsere
Gespräche zu mischen, wie oft hab ich dir das schon gesagt, he?, dann zaubere
ich dir eine Kündigung herbei, die noch vor Michaelis Gültigkeit hat!«
    Nicht Judith,
sondern Elsbeth bemerkte, dass es von Tag zu Tag weniger Hühner würden und von
Tag zu Tag mehr Maulwurfshügel im Hof. Nicht sie, sondern Valentin kam dem
Zusammenhang auf die Spur, nachdem er einmal vom Fenster seiner Stube mit
ansah, wie Kober, bevor er seine Kutsche bestieg, die Hühner vom Zaun wegjagte,
unter dem sie schon wieder ein neues Loch scharren wollten. Kaum war Kober
fort, war der Hund, der neue, der Benno hieß, da, packte das gerügte Huhn,
schüttelte es, bis es tot war, und buddelte es anschließend ein.
    Judith war
schweigsamer geworden. Was man verstehen kann, sagte Elsbeth zu Valentin, als
sie ihm morgens noch eine Semmel zusteckte.
    Außerdem, was
hätte sie auch sagen sollen zu den Gesprächen der Männer, die mehrere Abende
lang die Runde vergrößerten. Erst war Onkel Johannes Chemnitz, dann Gregor
Benzin bei ihnen zu Gast. »Nun ja, nun ja, lieber Kober, die Carolina ist nicht
so sanft, wie ihr Name sagt. Die ›Peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karls
des V.‹ lässt in Artikel 58 die Verlängerung der Folter zu! ›Viel, oft oder
wenig‹, steht da, wenn ich mich recht erinnere, ›hart oder gelinde, ganz nach
dem Ermessen eines guten vernünftigen Richters‹. Da brauchen wir also keine
Sorgen zu haben.«
    »Sollte man
nicht trotzdem den Brandenburger Schöppenstuhl fragen?«
    An einem
Apriltag wurde Trine Strehlen verbrannt. Judith wagte nicht, zu Hause zu
bleiben. Sie sammelte sich, Baltzer an der Hand, zu den vielen schon Wartenden
vor dem Rathaus. Auf dem Wege zum Richtplatz wurde sie von Rembkens Witwe, die
neben ihr ging, ein paarmal angesprochen, angeblich konnte sie sie der lauten
Musik wegen aber nicht richtig verstehen. Als auf dem Richtplatz die Menge eine
Gasse bildete, denn nun kam der Karren mit der Verurteilten, sah sie auf der
anderen Seite Benígna. Die wandte den Blick ab. Die Menge wogte wieder in
respektvoller Entfernung um den Holzstoß herum. Alle, die Krämer, bei denen
Trine Strehlen eingekauft, die Herrschaften, deren Wäsche sie gewaschen, die
Nachbarinnen, denen sie Salz geborgt, die jungen Frauen der Weber in der
Tuchmacherstraße, deren Kinder sie manchmal gehütet hatte, alle hörten mit an,
wie das Urteil verlesen, der Stab

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