Die Hure und der Henker
Judith gerade in jenem Augenblick
Zeit.
Verbunden
bleiben. Aber nicht stören.
»Ordo lectionis«, schrieb er
über die neue Tabelle. Er steckte sie mit Nähnadeln an die bretterne Wand. Er
lauschte, aber es waren nur Elsbeths trippelnde Schritte. Unten im Hof grüßte
Robert eine feine Jungfer, feine Jungfer, feine Jungfer. Unten im Haus lachte
Ulla, weinte Baltzer, schimpfte Judith. Immerhin: Er hörte sie schimpfen.
»Valentin,
möchtet Ihr noch von dem Hähnchen?« Das war beim Abendbrot.
(Ihr sorgt
Euch doch sonst nicht so. – Er dachte es. Er sagte es nicht.)
Kober
berichtete, was man im Rathaus besprach. Es gebe Unruhen in den märkischen
Städten. Es sei schon zu Plünderungen und Brandstiftungen gekommen. In
Perleberg. In Brandenburg-Neustadt.
»Aber warum
denn?« Elsbeth war fassungslos.
»Wegen der
Kippgroschen, Elsbeth. Viele Leute sind durch die schlechten Münzen ärmer
geworden«, sagte Judith.
»Ärmer?« Valentin zerbrach
einen Hähnchenschenkel und teilte die Volkswut dabei. »Ärmer? Manche haben
alles verloren!«
»In Brandenburg«, sagte Kober
und nahm sich ein großes Stück Hähnchenbrust, »in Brandenburg-Neustadt ist der
Kurfürst sogar persönlich erschienen, um die Rädelsführer zu strafen.«
Mit Genuss hörte Valentin die
Angst heraus. Womöglich war, wenn es darauf ankäme, für Pritzwalk gerade kein
Kurfürst zur Hand.
Und Kober? Kober vertraute
ihm! Valentin war ja kein Mitglied der Ratsfamilien, kein Kaufmann, kein
Händler, keiner mit Vermögen und Beziehungen, also keiner, der eine Konkurrenz
für ihn war.
»Komm mal mit, Klein, ich zeig
dir was.«
Sie schoben die Krüge mit der
Braunbierneige und die Teller mit den Hühnerknochen beiseite. Sie rückten die
hochlehnigen Stühle nach hinten. Elsbeth und Judith halfen Ulla beim Abräumen.
»Wir kommen gleich wieder, Schatz.« Kober raffte den Vorhang und ließ Valentin
an der Tür von der Diele zum Torweg den Vortritt. Er ging ihm voran bis zu
seinem Kontor, durchschritt den größeren Raum mit den Pulten der Schreiber,
auch den kleineren, in dem nur sein Schreibpult stand. In einem Kämmerchen, in dem
nichts als ein großer Aktenschrank stand, verschloss er sorgsam die Tür hinter
ihnen, denn man konnte nicht wissen.
Dann schloss
er eine der vielen Schubladen auf. Der entnahm er eine Kassette. Valentin
musste sich umdrehen, denn Kober wollte ihm zwar eine Wichtigkeit zeigen, aber
nicht auch die Lage der Schlüssel. Mit zwei Schlüsseln, die nicht an Kobers
Schlüsselbund waren, wurde die Kassette geöffnet. Zwei Schreiben lagen darin.
Das eine, Valentin kannte die Handschrift, von Kober persönlich geschrieben:
»Dem durchlauchtigsten/Hochgeborenen Fürsten und Herrn/Herrn Markgrafen zu
Brandenburg/und Burggrafen zu Nürnberg/des Heiligen Römischen Reiches Kurfürst
und Erzkämmerer/meinem gnädigsten Herrn«. Das zweite vom gnädigen Herrn,
ausgefertigt von seiner Kanzlei, aber von Georg Wilhelm selbst unterschrieben,
des Inhalts, dass er seine Obligationen Herrn Joachim Kober gegenüber anerkenne
und sich verpflichte, die von Herrn Joachim Kober entliehenen Capitalia nach
dem Kriege zurückzuzahlen.
»Das ist sicherer als eine
Bank«, sagte Kober. »Mir kann nichts passieren. – Aber du schwörst mir, Klein,
du schwörst mir hier bei allem, was dir lieb ist, und deinem eigenen Leben,
dass du davon keinem Menschen was sagst!«
»Ja,
natürlich.«
»Nein, das meine ich ernst.
Du schwörst jetzt.«
»Ich
schwöre.«
»Bei allem,
was dir lieb ist, und deinem Leben.«
»Bei allem, was mir lieb ist,
und meinem Leben.«
Kober verschloss alles
wieder, wozu Valentin sich erneut umdrehen musste wegen der Schlüssel für die
Kassette, dann schlug er Valentin zwischen die Schulterblätter. »Und nun komm,
alter Junge. Morgen Abend trinken wir noch ein Bierchen zusammen. Heute nicht.
Heute will ich früh zu Bett.« – »Falls du weißt, was ich meine«, fügte er noch
vergnügt hinzu. Und Valentin, damals, wusste es.
Und störte
das Leben nicht, das in Gestalt Judiths aus dem Küchengang kam, an die Treppe,
wo Elsbeth und Ulla immer noch tuschelnd unter dem rot verglasten eisernen
Stern standen, tuschelnd über Trine Strehlen, die Hexe.
Judith wollte
wissen, was denn die Männer vor ihr für Geheimnisse hätten. »Nichts für schöne
Frauen«, sagte Kober, legte ihr den Arm um die Taille und zog sie leicht an
sich.
Er schien
nicht zu merken, wie steif sie neben ihm die Treppe emporstieg. »Gute
Weitere Kostenlose Bücher