Die Hure und der Henker
hörst du?« Danach richtete er sich auch, als seine Mutter kam,
die sich nur Schnittlauch für den Quark holen wollte. Als Judith herbeistürzte,
hatte der Wortwechsel zwischen Mutter und Sohn schon Ulla und Elsbeth an die
Fenster gelockt. Der rothaarige Simon sah über die Dachtraufe, die er säubern
sollte, zu ihnen hinunter. »So war’s nicht gemeint, Jenne! – Robert!
Robertchen! So hör doch mal! Deine Mutter darf rein!« Erst nach der Eroberung
des Schnittlauchs, den Jenne dann wie ein Schwert vor sich hertrug, wurden sie
nicht mehr gestört.
Worum ging’s?
Judith verstand, obwohl Benígna so eindringlich sprach wie schon lange nicht
mehr, trotzdem nicht gleich. Was für einen Zusammenhang zwischen dem
Gartenfest und der Hexe sollte es geben?!
»Siehst du,
und auch du, Judith, hast eben ›Hexe‹ gesagt!«
»Na, sie ist doch
angeklagt!«
»Sie ist
angeklagt, aber noch nicht verurteilt, und trotzdem reden schon alle so über
sie, als hätten sie sie selbst beim Blitzeschleudern gesehen.«
»Du hast recht. Aber wieso
hat der kleine Streit auf dem Gartenfest, ach, ein Streit war es ja nicht
einmal, die Neufeld hat nur wieder ihre Nase in deine Angelegenheiten gesteckt
und ich hab sie an ihre eigenen erinnert, man darf sie doch wohl darauf aufmerksam
machen, dass sie manchmal ein bisschen zu weit geht, was hat denn das bisschen
mit Trine Strehlen zu tun?«
»Du erinnerst dich doch noch
an die Sache mit dem Holz, oder? Wie sich meine Mutter empörte?«
Judith
durchfuhr ein Schreck. Als Benígnas Mutter sich empört hatte, dass ihr, genauso
wie anderen Ratsfamilien, aus dem Stadtforst ein Klafter Buche und ein Klafter
Eiche zustünden – oder auch Espe –, man ihr aber diesmal Birke vors Haus fuhr,
hatte Valentin in der Nähe gestanden. Er unterhielt sich mit dem pickligen
Daniel, sah aber manchmal blitzschnell zu ihr hinüber.
»Ja, ich
erinnere mich. Du hast deine Mutter gebeten, nicht so zu schreien, worauf sie
natürlich noch lauter wurde.« Judith ahmte Benígnas Mutter nach: »Was ich sage,
kann jeder hören. Ich habe keine Geheimnisse!«
»Und darauf hast du gesagt:
›Arme Frau!‹«
Judith sagte
nichts. Aber sie wusste: Das hatte sie gesagt. Für Valentin. Als
Liebeserklärung.
»Und das hat die Neufeld
gehört, die es nun herumerzählt, dass du gewisse Geheimnisse hütest. Sie wolle
ja nicht zu viel sagen, aber merkwürdig sei es schon, wieso manchen gar nichts
glücke, ihrem Thomas zum Beispiel, der mindestens genauso viel arbeite wie dein
Kober, und Kräuter kennest du jedenfalls mindestens genauso gut wie Trine
Strehlen.«
Judiths Herz
tat einen Sprung, raste und rutschte sonst wohin. »Aber du hast doch eben
selbst gesagt, dass der bloße Verdacht nicht genüge.«
»Dass Trine
Strehlen erst angeklagt ist, hab ich gesagt. Dass man sie noch nicht verurteilt
hat. Noch ist nichts erwiesen, aber man erweist es gerade – indem man ihr die
Daumenschrauben ansetzt. Hat dir das dein Mann nicht erzählt?«
»Joachim? Was
hat denn der damit zu tun?«
Judiths Herz
saß plötzlich im Unterbauch und krampfte sich dort zusammen.
»Er muss doch
anwesend sein von Amts wegen. Auch Bürgermeister Benzin, auch Onkel Johannes.
Soll ich dir sagen, was man stundenlang mit ihr macht? Sie wird ihnen bald
alles gestehen, sag ich dir, alles! Sie wird zugeben, dass sie Wetter machen
kann, dass sie Blitze in Kirchtürme schleudert, dass sie besonders gern neue
Orgeln verdirbt. Sie wird sagen, dass sie den Orgelbauer umgebracht hat und
Jochen Kriwitz, den man tot bei den Schafherden fand. Dass sie Pferde vergiftet
hat, mit dem Teufel geschlafen und Nägel und Schrauben gehustet und mit
Feldhamstern Unzucht getrieben, und auf dem Trappenberg, dem Sommersberg und
dem Blocksberg war sie auch, und zwar gleichzeitig. Sie wird alles zugeben, alles, so wie du und ich, wenn man uns die Glieder zerquetscht, die
Gelenke auskugelt, uns reißt, sticht und brennt. Alles. Auch eine Hexe zu
sein.«
»Benígna, ich…«
Sie müsse
aufstehen, wollte Judith sagen. Sie habe so ein Gefühl, als ob…
Doch erst,
als sie Benígnas Handgelenk so umkrampfte, dass ihre Fingerknöchel weiß wurden,
erst, als sich ihr Gesicht vor Schmerz verzerrte, hörte Benígna auf, von
Judiths Kräuterkenntnissen, Kobers Neidern in der Stadt, der Bösartigkeit der
Neufeld und der Gefährlichkeit von Gerüchten zu reden.
»Judith!
Judith, was ist? – Um Himmels willen! Rooobert! Jenne! Simon! Schnell!«
Das Leben,
für das Valentin
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