Die Hure und der Henker
und zweitens – ja, ja ich weiß, was Ihr sagen
wollt: dass Ihr keinen Urlaub bekommt, dass Ihr es ja oft genug schon versucht
habt. Nein, nein! Lasst mich mal machen! Zweitens müsst Ihr hier wirklich weg.
Ich rede mit Kober. Vielleicht kann er für Euch etwas tun.«
Es war ja schon einmal
gelungen, dass Judith ihren Mann dazu brachte, für Valentin etwas zu tun. Sie
nutzte damals einen günstigen Augenblick, einen voller Zufriedenheit und guter
Laune. Der war gekommen nach dem öffentlichen Examen der Schüler. Das Podium
war schon abgeräumt worden. Schiefertafel und Rednerpult standen schon unten,
auf dem Pflaster des Platzes, zum Rücktransport in das Schulhaus bereit.
Schüler und Gäste sprachen den Bratwürsten zu. Eltern und Ratspersonen standen
nach Bier an. Kober war vorher und nachher von allen möglichen Leuten umringt
gewesen, auch, als man sich mit Wursttellern und Bierkrügen an den langen
Brettertisch setzte, zollte man ihm Beifall oder spendete Lob.
»Vor allem
bewundere ich, Herr Bürgermeister, dass Ihr dabei so ruhig geblieben seid!«
Judith, die
ihrem Mann nach der so bewunderten Rede zu Hause Baldriantee kochen musste,
sagte zur Ruhe nichts weiter.
»Ganz außerordentlich habt
Ihr das neulich gemacht. Der Pöbel ist immer stiller geworden. Zuletzt sind sie
alle artig nach Hause gegangen.«
Auch
Anthonius von Quitzow, der schon auf dem Heimweg nach Kletzke war und Kober im
Vorübergehen nur kurz auf die Schulter klopfte, hatte davon gehört, dass eine
bewaffnete Menge im Begriff war, wegen der schlechten Münze das Rathaus zu
stürmen. Und von Kobers Rede am Rathausfenster.
Judith hatte damals den
Augenblick genutzt, da Kober, vergnügt und schmausend, wobei man ihm das
Vergnügen am Schmausen inzwischen schon ansah, von allen gesehen am Tische saß.
Nachbar Wordenhoff stieg über die Bank, setzte sich kichernd zu ihnen. Wie man
das denn gefunden habe vorhin. Das sei doch ein guter Witz gewesen, oder? Die
zu entseelenden Schüler!
Auch Kober
lächelte. Der Konrektor Pflücke hatte an die Tafel statt »discipuli examinandi«
»discipuli
exanimandi« geschrieben, statt »die zu prüfenden Schüler«
»die zu
entseelenden Schüler«.
»Klein wäre das nicht
passiert«, sagte Wordenhoff grinsend und erinnerte sich daran, wie er
seinerzeit von Valentin immer abschrieb.
»Wo ist der
überhaupt?«
Man entdeckte
Valentin neben der Schlange, die sich vor der Bratwurstbude gebildet hatte. Er
sprach mit dem Torhüter Ostermann, für dessen Sohn, weil Ostermann arm war,
auch die Stadt das Schulgeld bezahlte.
»Er scheint
sich trotz seiner vorzüglichen Verbindungen ein Herz für solche Leute bewahrt
zu haben«, sagte Judith.
Beiläufig. Sie löffelte sich
Senf auf den Teller.
»Vorzügliche
Verbindungen? Klein?« Auch Nachbar Wordenhoff horchte auf.
»Meinst du
damit den Hessischen Hofmarschall, mit dem er korrespondiert?«
»Ist er
Hofmarschall? Von dem Werder heißt er, von dem er uns einmal erzählt hat,
Elsbeth, Jenne und mir. Er sitzt ja ab und zu mal bei uns in der Küche. Und
zahlt uns für die Quirle, die wir ihm zum Abschlecken geben, und die Speisen,
die wir ihn kosten lassen, mit Geschichten von seiner Frucht-, seiner
Dichtergesellschaft, fruchtbringende Gesellschaft, heißt sie – jetzt hab ich’s.
Die Herren korrespondieren miteinander, wollen Unterschiede des Standes nicht
wirken lassen, weshalb sie sich Vereinsnamen geben. Ein paar hat Valentin uns
gesagt. Es gibt da zum Beispiel den – ja, es gibt den ›Mehlreichen‹, den
›Gekochten‹, den ›Nährenden‹… und den ›Schmackhaften‹…«
»Das hört
sich eher nach einer Versammlung von Köchen an«, witzelte Wordenhoff.
»Ja. Jenne
hat auch gleich beitreten wollen. – Nein im Ernst«, sagte Judith, »›der
Nährende‹, das weiß ich noch, ist Fürst Ludwig von Anhalt und ›der
Schmackhafte‹ ist ein Herzog von Sachsen.«
»Herzog? Fürst? Und mit denen
korrespondiert er?« – Wusste sie’s doch. Nun war ihrem Manne die Sache
ebenfalls schmackhaft. »Und wieso weiß ich davon noch nichts?«
»Weil nicht
alle Post in dein Kontor kommt und du auch nicht Kuchenteigschüsseln zum
Ausschlecken bietest.«
»Und warum erzählt mir Klein
das nicht mal beim Bier?«
»Vielleicht
kommt er bei deinen Sorgen nicht immer zu Worte? Oder weiß vielleicht, dass
Dichtung und Sprachpflege dich nicht interessieren?«
Verbindungen
jedenfalls interessierten ihn. Eine zu Fürsten und Herzögen mit nur Valentin
als
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