Die Hure und der Henker
Zwischenstation ganz besonders.
Es dauerte
damals nicht lange, bis der Widerstand seitens des Pfarrherrn gegen Valentins
Urlaubsgesuche beseitigt war. Ein Gespräch mit dem Rektor beim Umtrunk im
Schützenhaus nach dem Scheibenschießen, eines mit dem Pfarrherrn beim
Gänsebraten nach einer Taufe im Hause Benzins. Der Tagesordnungspunkt
»Verschiedenes« zur Ratssitzung. Dann durfte Valentin reisen.
Judith hatte
ihm ja schon einmal das Tor in die Welt da draußen geöffnet. In eine Welt, in
der es Wiesen und Wälder, Felder und Wege gab. Zerfahrene Wege, gewiss.
Verwüstete Felder, denn die nach dem Sieg Wallensteins an der Dessauer
Elbbrücke in die Mittelmark zurückflutenden Mansfelder hatten überall ihre
grausige Spur hinterlassen. Valentin kam an verkohltem Gebälk, provisorischen
Gräbern, an von Tieren unter Baumwurzeln und Gesträuch geschleppten
menschlichen Knochen vorbei. Einmal, wegen eines rastenden Reitertrupps, blieb
er lieber hinter den Feldsteinen eines Hünengrabs und rekapitulierte alles, was
Robert ihn über die Sprache der Pferde gelehrt hatte, für den Fall, dass eins
näher käme. Ein andermal hielt das Gefecht zwischen einem dieser umherziehenden
Haufen, die sich von den regulären Armeen abspalteten und auf eigene Faust
Krieg führten, und der bewaffneten Eskorte des Kaufmannszugs, dem er sich in
Havelberg angeschlossen hatte, ihn auf. Aber im Großen und Ganzen kam er gut
vorwärts. Schon war er in Tangermünde. Schon war er in Güsen. In Möckern kaufte
er sich noch einmal ein Brot und schon nach anderthalb Wochen traf er in
Reinsdorf ein.
Die Leute,
als er das Dorf durchschritt, drehten die Köpfe nach ihm, doch musste er
niemanden nach dem Weg zum Schloss fragen. Das hohe Dach war schon von Weitem
zu sehen. Auch die Befürchtung, sein Brief könne noch nicht eingetroffen sein,
erwies sich als gegenstandslos. Als er auf den zweistöckigen Bau zu schritt,
kam jemand die Freitreppe unter dem mittleren Giebel herunter, ein Mann in
Sturmhelm und Brustharnisch. Ob er Valentin Klein sei. Der Bedienstete
lächelte. »Dann wartet man schon auf Euch.« Er geleitete ihn die Treppe hinauf,
ging durch die Halle, öffnete eine Flügeltür: »Valentin Klein, Herr.« Er
salutierte, als Valentin eintrat.
Werder,
dessen Gesicht Valentin vom Titelkupfer der »Siebenunddreißig Gebete« kannte,
erhob sich. Sein Gesprächspartner, der Valentin als der Dichter Tobias Hübner
vorgestellt wurde, blieb sitzen. Woran zwei Dichter merken, dass sie einander
nicht für Dichter halten, sollte man einmal erforschen, dachte Valentin. Es
muss etwas sein, das mit Wörtern, aber nicht mit Geschriebenem zu tun hat.
Werders Händedruck, Werders Begrüßungsworte, Werders Lächeln dagegen gefielen
ihm.
»… und Ihr
ahnt nicht, wie spitz er sein kann«, sagte Werder zu Hübner. Der, mit scharfem
schnellen Blick aus seinem knittrigen Gesicht, schien es aber wohl doch zu
ahnen.
Nicht, dass Valentin
Pritzwalk vergaß. Er verglich die großen Flügeltüren in Werders Schloss
durchaus mit den schweren Vorhängen in Kobers Diele, die roten Krebse auf
Werders Tisch mit dem Stielmus aus Rübenblättern, das Vyfken oft gekocht hatte.
Er verglich die Tischgespräche über Wollpreise, Münzsorten und weggezauberte
Hühner mit denen über Metren, Reime und Opitzens Buch über die Poeterey.
Er war vorsichtig.
Er behauptete, was Opitz über »Die Woche« des Franzosen Bartas geschrieben
hatte, nicht zu kennen und damit auch nicht die schlechten Verse von Hübner:
»Gott, der du mir der Welt Geburt hast tun anzeigen/ entdeck mir ihre Wieg, tu
mir ihr Kindheit zeigen.« Er war bescheiden. Darüber, ob Opitz zu verbessern
sei, stehe ihm noch kein Urteil zu.
Er verglich
Kobers Berichte über gestiegene Zinsen beim Bankhaus Weiler & Essenbrücher
in Berlin und rebellierende Handwerksburschen mit den Anekdoten, die Werder aus
seiner Jugend am hessischen Hofe erzählte. Fechtboden. Jagen. Reiten. Turniere.
Englische Schauspieler. Lateinische Dramen. Musik, Musik und noch mal Musik.
Und strenge Schulzucht! Wenn man nicht spurte, lernte man gezüchtigt das
Singen. Landgraf Moritz persönlich habe Prüfungen und Disputationen der Schüler
des Collegium Mauritianum geleitet.
»Das Schulwesen lag ihm sehr
am Herzen. Er schrieb sogar selbst Schulbücher.«
»Er schrieb überhaupt sehr
viel!«, warf Hübner ein. Er schien mit Zank die Zucht wettmachen zu wollen, die
seinen eigenen Schriften fehlte.
Werder sagte nicht, was
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