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Die Hure und der Henker

Die Hure und der Henker

Titel: Die Hure und der Henker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Arlt
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er
bemerkte: dass sich auf seinem und Hübners Teller die Krebsschalen häuften,
während Valentin sich immer noch mit dem ersten Tier auseinandersetzte. »Jetzt
hab ich endlich den Bogen raus«, sagte er. »Wenn man es so macht und so« – er
zeigte es Valentin – »und dann den Schwanz abzieht, geht es ganz leicht. – Habe
ich eigentlich schon einmal erzählt, dass wir Schüler auch an der
landgräflichen Tafel aufwarten mussten? – Da! Bitte! Ich kann’s immer noch!«
Und damit balancierte er eine kunstvoll getürmte Pastete zu Valentin hin, die
dieser ebenfalls schon ein paar Mal verzweifelt angesehen hatte.
    Valentin
verglich und verglich und sein Leben in Pritzwalk kam dabei nicht gut weg.
     
     
    »Glaubenskrieg?«
Auch wenn Hübner den Mund zum Lächeln verzog, wiesen seine Mundwinkel nach
unten. Man saß nach dem Essen am Kamin. Werder sagte nichts, aber der
Blickwechsel der beiden entging Valentin nicht.
    »Ein
Glaubenskrieg«, sagte Werder dann, »ist es nur insofern, als man auf beiden
Seiten dasselbe glaubt, nämlich, dass das reiche Böhmen die Hälfte der
Verwaltungskosten des Reiches deckt.«
    »Und dass es
um die nächste Kaiserwahl geht«, warf Hübner ein. »Wenn ein protestantischer
Kurfürst auf dem böhmischen Thron sitzt, hat er zwei Stimmen, seine und
die des Königs von Böhmen.«
    »Womit die
Wahl entschieden wäre«, erklärte Werder, sich über die Armlehne zu Valentin
neigend. »Die katholischen Kurfürsten wären dann mit vier zu drei Stimmen
unterlegen.«
    Es ging ja schon einmal, dass
Judith auf Kober einwirkte und Valentin einen Weg in die Welt öffnete. In eine,
die damals Reinsdorf hieß. Und Diederich von dem Werder. Tobias Hübner. Die
Dichtung. Die Politik. Landgraf Moritz. Dass Hübner in Reinsdorf sich zu Opitz
nicht anders verhielt als Pflücke in Pritzwalk sich zu Valentin, gab ihm
freilich zu denken. Beide litten sie darunter, dass Gott einem anderen mehr
Talent gegeben hatte als ihnen, und beide nahmen sie es nicht Gott, sondern dem
Begabten übel.
    Auch dass
sich englische Schauspieler, lateinische Dramen, Musik, Musik und noch mal
Musik mit der Hinrichtung jenes Eckardsberg, von dem Werder erzählte, nicht in
Einklang bringen ließen, fiel ihm auf.
    Ein
Hofmarschall hatte dem Hofjunker von Eckardsberg eine Liebschaft mit der
Landgräfin nachgesagt, der Hofjunker diesen deshalb erschossen und der Landgraf
ließ ihn dafür dreimal vor dem ganzen Hof foltern, dann die Hand abschlagen,
den Leib aufschneiden, das Herz herausreißen und ihn anschließend vierteilen.
Die Braut und die Mutter Eckardsberg, die das mit ansehen mussten, wurden
wahnsinnig. Der Landgraf, der auch zusah, nicht.
    Ich konnte
sogar verstehen, gestern, dass Valentin nun, da er schon vierzig war, noch
einmal versuchen wollte, zu leben, bevor er starb. Ich hielt es für möglich,
dass ihm das mit der Erpressung gelingen könnte.
    Vor der Stadt standen die
Schweden. In der Stadt herrschte die Pest.
    »Von den Schweden werden wir vielleicht getötet«, hatte er vorgestern in der Beratung zu Kober gesagt, »von der
Pest ganz gewiss.«

 
    18
     
     
     
    O nein! Still! Honzíčku,
still! Um Gottes willen, wach auf! Honzíčku! Wach auf! Ticho! Werd wach,
miláčku! Ticho, ticho, Mama ist doch da. Du hast bloß geträumt. Ticho!
Sieh mal, Mama ist doch da. Es ist alles gut. Aber still, ganz still, musst du
sein, ganz still. Hier sind keine Bösen.«
    Haben sie’s gehört?
    »Ist ja gut. Du hast bloß
geträumt. Ist ja gut. Ich bin doch da.«
    Gott sei
Dank! Zum ersten Mal kann ich dem Getöse da draußen etwas Gutes abgewinnen. Sie
sind vom eigenen Lärm betäubt. Sie schreien die Pferde an, wovon die Wagen
nicht leichter werden. Sie schreien einander an, deutsch übrigens, was aber
nicht viel besagt, denn im schwedischen Heer ist inzwischen nur noch jeder
Fünfte ein Schwede.
    »Keine Angst,
Honza, hierher kommen sie nicht. Wir müssen nur still sein, dann können sie uns
nicht finden.«
    Ja, so, komm
her…
    Wie dünn er geworden ist.
Trotz meiner nächtlichen Beschaffungsrunden in den letzten Wochen.
    »Die Tante?« (Ohne die hätte
ich dich jetzt nicht mehr, mein Kleiner.) »Die Tante schläft. Sie ist krank,
sieh mal. Sie hat sich den Kopf verbrannt. Der heilt aber wieder.«
    »Bald?«
    »Ja. Wenn sie
viel trinkt und viel schläft und auf Mama hört.«
    »Können die
Soldaten hierherkommen?«
    »Wenn wir laut sind oder am
Tag ein Feuer anmachen, ja. Aber wenn wir ganz leise sind und nur

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