Die Hure Und Der Moench
Die anderen Nonnen durften nichts davon merken, in welchem aufgewühlten Seelenzustand sie sich befand. Nach dem Fortgang von Lucas und Sonia hatte Angelina sich beim Abendessen und der Complet entschuldigen lassen und war früh zu Bett gegangen. Nie hatte sie sich in einem Raum so beengt gefühlt wie hier in ihrer Zelle. Sie war in einen unruhigen Schlaf gefallen, träumte wieder, sie sei in einem Erdloch gefangen, ein Mann näherte sich ihr. Sie sah sein wie vom Fieber gerötetes Gesicht. Er fasste sie am Arm, zog sie zu sich heran. Angelina wollte sich ihm entziehen, doch er drang immer mehr auf sie ein. Der Mann griff an ihren Busen, riss ihr Kleid entzwei. Sie hörte ihn stöhnen. Im Hintergrund stand ein Mönch auf einer Kanzel und predigte über den Gottesstaat. Mit einem Schrei war sie hochgefahren. Hoffentlich hatten die Schwestern nichts gehört! Sie waren gewiss schon auf dem Weg in die kleine Kirche.
Jeden Morgen erwachte sie wie gerädert in ihrer Zelle. Sie hatte kaum ein Auge zugetan, immer wieder kehrten die schrecklichen Traumbilder zurück, ließen sie aus kurzem, flachem Schlaf auffahren. Hatte sie es dann nach mehreren Anläufen geschafft, sich von ihrer Matratze zu erheben, wurde es ihr schwarz vor Augen. Sie fühlte sich wie betäubt.
Während der Gebete wischte sie sich die Augen, immer wieder glaubte sie Teufelsfratzen vor sich zu sehen, die Heiligen auf den Bildern und Altären schienen sie zu verhöhnen. Wenn sie aus dem Fenster schaute, sah sie dunkle Wolkenmassen über den Hügeln und Wäldern. Weswegen war sie nur so aufgewühlt? War es das Gefühl, dass die Bedrohung einfach nicht nachließ?
|247| Mehr und mehr empfand sie sich als außerhalb dieser Gemeinschaft, konnte sich für nichts mehr erwärmen, lebte wie eine Puppe, die an unsichtbaren Fäden gezogen wurde. Begegnete sie unvermutet einer der Schwestern im Kreuzgang, zuckte sie zusammen. Alle schauten sie voller Mitleid an, so schien es ihr, oder war es Feindseligkeit? Hatte sich der Mörder auch in dieses Kloster geschlichen, steckten die Schwestern oder eine von ihnen mit ihm unter einer Decke? Ihre tägliche Arbeit verrichtete Angelina ohne innere Anteilnahme. Der Monat November ging hin, Regen prasselte nieder, erste Schneeflocken mischten sich darein. Es wurde nicht besser, sondern immer schlimmer.
Nachdem Mutter Elisa zu einer Reise nach Assisi aufgebrochen war, wurden Angelinas Angst, ihre Traurigkeit täglich größer. Sollte sie ihrem Leben ein Ende setzen? Dann hatte die Welt Ruhe vor ihr, und niemand brauchte mehr ihretwegen zu sterben oder zu leiden. Sie konnte kaum mehr etwas zu sich nehmen, schlief des Nachts nicht mehr, nickte bei den Stundengebeten ein, konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Immer wieder kreiste ihr Denken um dasselbe: Wer war dieser Mann, der in ihrer aller Leben eingedrungen war wie der Wolf in die Schafsherde, was hatte sie, Angelina, verbrochen, dass sie sich so quälen musste? Eines Abends, beim Abhalten der Vesper, schwanden ihr die Sinne, sie sank langsam zu Boden. Es wurde dunkel um sie.
|248| 31.
In Rom war der November darüber hingegangen, Bilder zu verkaufen, neue Auftraggeber zu gewinnen und die Kunstschätze der Stadt in Augenschein zu nehmen. Francesco konnte es kaum erwarten, die Verhandlungen abzuschließen und nach Florenz zurückzukehren. Für seinen Aufbruch hatte er den Anfang des Monats Dezember gewählt. Sebastiano versuchte ihn zurückzuhalten, doch es gelang ihm nicht. Francesco missfiel die Art, in der die Römer lebten. Und er vermisste Angelina, Botticelli, seine Arbeit in dessen Werkstatt, seine Malerfreunde und auch Eleonore. Ob sie sich einmal mit Angelina getroffen hatte? Und was war aus Lucas und Sonia geworden? Dass Angelina und er sich gestritten hatten, machte ihm keine sonderlichen Kopfschmerzen. Er wusste, wie die Frauen waren. Angelina würde ihm nicht widerstehen können, sobald er vor ihr stand. Zudem hatte er ihr drei Briefe geschrieben, die er an die Adresse von Botticelli gerichtet hatte. Sie beantwortete allerdings keinen von ihnen, was ihn doch mit leichter Unruhe erfüllte.
Die letzten Abende verbrachte er mit Sebastiano, den Malern und Stuckateuren in den Tavernen Roms. Man redete über die Kunst und die Malerei im Allgemeinen, im Besonderen über Michelangelo, der den Auftrag bekommen hatte, eine Pietà für Santa Croce in Rom herzustellen, sowie über Leonardo da Vinci, diesen noch genialeren Maler in Mailand. Francesco allerdings vertrat
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