Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
hier?«
Silke schaute auf die spielenden Kinder, dann schüttelte sie den Kopf. »Leider nein. Alle Kleinen siehst du hier.«
Enttäuscht sah Lena sich noch einmal um, aber Veronika war nicht unter ihnen.
»Tut mir leid.« Silkes Bedauern schien ehrlich zu sein.
»Ich werde sie schon finden.«
»Ich hoffe es für dich.«
Lena musste das Thema wechseln, denn ein dicker Kloß schwoll in ihrem Hals an. »Lebt ihr die ganze Zeit schon hier im Stall?«
Lena erinnerte sich – es war im letzten Herbst Stadtgespräch in Bremen gewesen, dass dem Grafen von Hoya die Bauern wegliefen, weil er sie bis aufs Blut auspresste. Bremen hatte diese Menschen aufgenommen, und Ratsherr Duckel, der das größte Land besaß, gewährte ihnen für ein Jahr Unterschlupf und Schutz. Anschließend sollten sie eingebürgert werden. Doch Lena konnte sich kaum vorstellen, dass sie seither mit den kleinen Kindern hier in einer zugigen Scheune gelebt hatten. Im Winter musste es hier lausig kalt und zugig gewesen sein.
»Nein, erst seit der Belagerung durch die Soldaten«, antwortete Silke. »Wir konnten vorher mit den Dienstboten im Gesindehaus wohnen. Es war zwar sehr eng, aber wir waren mit unseren Männern und Kindern zusammen und hatten es warm und trocken. Als die Soldaten kamen, haben sie uns einfach hinausgeworfen. Wir haben uns dann hier eingerichtet, so gut es ging. Außer ein paar Mäusen, die uns nachts auf der Nase herumtanzen, geht es uns noch gut. Die Männer müssen sogar im Freien schlafen. Bei Wind und Wetter. Ich mag mir nicht vorstellen, wie es für sie im Winter wird.«
»Glaubst du denn, dass es so lange dauern wird?« Lena hoffte das Gegenteil.
»Nein, ich hoffe, dass es bald vorbei ist.« Silke sah in eine von vier großen Holzkisten, die früher vermutlich Futter und Gerätschaften beherbergt hatten, jetzt jedoch mit Wäsche, Töpfen und allerlei Haushaltsutensilien gefüllt waren. Sie wühlte einen Moment herum, dann zog sie eine Decke heraus.
»Wusste ich es doch. Die hat der alten Sieglinde gehört, aber die braucht sie nicht mehr. Hat vor Kurzem ihre Augen für immer geschlossen. Ich hoffe, es macht dir nichts aus?«
»Nein.« Lena schüttelte den Kopf und nahm die Decke.
»Hier ist noch ein Platz.« Silke wies auf eine Ecke unter der Leiter, die zum Heuboden führte.
»Was ist da oben?«
»Da schlafen die Kinder.«
»Und was macht ihr den ganzen Tag?«
»Wir flicken die Uniformen der Soldaten, kochen und waschen für sie und für uns, bestellen das Land und warten auf das Ende dieses Krieges.«
»Seht ihr eure Männer manchmal?«
Einen kurzen Moment spiegelte sich Unsicherheit in Silkes Miene, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Dahinten ist noch etwas Stroh. Nimm dir davon, was du brauchst. Ich gehe jetzt wieder zu den anderen. Du findest uns am See hinter dem Pferdestall, dort arbeiten wir. Wenn du dich eingerichtet hast, komm rüber. Ich stelle dich dann den anderen Frauen vor.«
»Werde ich machen. Hab Dank, Silke.«
Nachdem Lena sich aus dem Stroh eine kleine Liegefläche geformt, die Decke ausgebreitet und ihren Umhang zum Trocknen über eine Sprosse gehängt hatte, schaute sie sich ein wenig um. Viel gab es hier nicht zu sehen. Die meisten Gerätschaften waren in einer Ecke gestapelt. Hier und da lag ein Kleid bei einer Decke. Die beiden Schwangeren schliefen, und die Kinder beäugten Lena neugierig. Als Lena ihnen zulächelte, wandten sie sich wieder ihrem Spiel zu.
Hinter dem Pferdestall, der einmal mindestens zwanzig Tieren Platz geboten haben musste, war der See, an dem gut zwei Dutzend Frauen mit Waschen beschäftigt waren. Ringsherum saßen Wachposten in Zweiergruppen und beobachteten sie oder unterhielten sich. Einige ältere Frauen hockten auf der Erde und flickten Kleider, andere waren mit Kochen beschäftigt und rührten abwechselnd in zwei riesigen Kesseln. Auch hier waren Kinder am Spielen oder halfen ihren Müttern. Einen Augenblick sah Lena zu, wie einige Jungs trotz der Kälte der vergangenen Tage übermütig im Wasser planschten. Sie beneidete die Kinder, die sich nicht zu sorgen brauchten, sondern selbst hier ausgelassen sein konnten.
Ein Knabe fiel Lena besonders ins Auge. Er erinnerte sie an ihren Bruder Kurt, der jetzt ungefähr im gleichen Alter sein musste. Ehe sie die Traurigkeit über den Verlust übermannte, sah sie sich nach Silke um und entdeckte sie hinter dichtem Schilf mit zwei weiteren Frauen. Die drei sahen jetzt in ihre Richtung, und Silke winkte Lena zu
Weitere Kostenlose Bücher