Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
gewöhnt. Außerdem sind die Soldaten auch nur Menschen, die ihre Pflicht tun. Ob es ihnen gefällt oder nicht. Kaum einer hat die Wahl, sich frei zu entscheiden, wie er sein Leben verbringen will.« Lena klang vorwurfsvoll, obwohl es nicht ihre Absicht gewesen war.
»Ich verstehe, was du meinst«, sagte Judith mit Betroffenheit in der Stimme. »Es ist wie mit Tieren, die lässt man auch nicht unnötig leiden.«
»Es war nicht so gemeint.«
Judith drückte sanft Lenas Arm. »Du hast allen Grund, zornig auf das Leben zu sein. Aber weißt du, die Frauen haben ihre Meinung über dich geändert, als sie die Nahrungsmittel gesehen haben.«
»Und ich freue mich, dass ich etwas für sie tun konnte.«
»Ab jetzt sollten wir nicht mehr laut sprechen. Auch in der Nacht sind Spähtrupps unterwegs«, flüsterte ihre Mutter. »Hast du von deinem Laurenz gehört?«
»Ja. Der Priester sagte, er sei wohlauf, doch die Arbeit ist schwer«, flüsterte Lena zurück.
»Das habe ich mir gedacht. Die anderen Frauen berichten Ähnliches.«
»Welche Arbeit müssen die Männer denn verrichten?« Lena versuchte, einer Pfütze auszuweichen, von denen es zahlreiche gab, rutschte jedoch ab und landete unsanft im Nassen. »Mist!«, schimpfte sie.
Judith ergriff kichernd Lenas Hand und zog sie auf die Beine. »Hast du dir etwas getan?«
»Nein, nichts außer einem nassen Arsch.« Lena kicherte nun ebenfalls leise.
»Im Lager gibt es viel Arbeit«, knüpfte Judith wieder an die Frage an. »Vom Reinigen der Nachttöpfe über die Pflege der Pferde, das Putzen von Waffen, und auch Baumfällen und Ausheben von Gräben gehören dazu.«
»Ich hoffe, sie bekommen wenigstens genug zu essen, wenn sie doch so viel arbeiten müssen.«
»Dort hinten ist das Anwesen, in dem die Soldaten sich eingenistet haben.« Ihre Mutter deutete durch einige Büsche und Bäume hindurch.
Sie schlichen hinüber, und Lena sahen im schwachen Schein des Mondes einige Häuser. Fackeln erhellten den Platz um einen Brunnen, und die Silhouetten mehrerer Wachen waren zu erkennen.
»Näher können wir nicht herangehen. Sonst sehen sie uns.«
Lena spähte durch das Gestrüpp und sah mehrere große Häuser, einen Stall, eine Scheune und im Hintergrund ein prächtiges Fachwerkhaus. Umgeben war das Anwesen von einem breiten Graben, über den es nur einen Zugang zu geben schien.
»Mutter, ich würde gerne morgen sehen, ob ich Laurenz entdecken kann, und möchte hierbleiben. Es würde mir sehr viel bedeuten.«
»Ich verstehe dich, Lena, aber stell dir vor, Kundschafter finden dich hier. Die Strafe wäre nicht auszudenken. Vielleicht würde man auch bemerken, dass du im Lager fehlst.«
»Die Büsche sind dicht, und ich verstecke mich gut, das verspreche ich.«
Einen Moment lang überlegte Judith, dann nickte sie. »Wenn es dir so viel bedeutet, dann bleib, auch wenn ich es nicht gutheiße.« Sie nahm den Wasserbeutel, den sie an einer Schnur um ihre Taille trug, und reichte ihn Lena. »Wenn du morgen keine Gelegenheit bekommst, zurückzukehren, wirst du hungern müssen.«
»Ich habe heute Abend genug gegessen. Es wird reichen.«
»Dann, dann …«, stotterte Judith und streichelte Lena über die Wange. »Pass bitte auf dich auf, ich möchte dich nicht noch einmal verlieren.« Sie küsste ihr die Stirn, drehte sich um und wurde nach ein paar Metern von der Dunkelheit verschluckt.
Lena warf noch einen Blick auf das Gut, dann machte sie es sich auf der Erde so bequem, wie es ging, und rollte sich in ihren Umhang ein.
Am nächsten Morgen wurde sie zeitig vom Gezwitscher der Vögel geweckt. Verschlafen rieb sie sich die Augen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, und im Lager rührte sich nichts. Lena setzte sich auf, trank einen Schluck aus dem Wasserschlauch und wartete.
Auf den Wiesen waberten Nebelschwaden umher, die in der aufgehenden Sonne rosa leuchteten. Ein Feldhase war auf der Suche nach etwas Essbarem und hielt seine kleine Nase schnuppernd in die Luft. Er hoppelte weiter, hielt an, schnupperte erneut, hoppelte erneut weiter, und langsam verschluckte der Nebel ihn. Lena konzentrierte sich wieder auf das Lager.
Nach einiger Zeit sah sie die ersten müden Soldaten aus den Häusern kommen. Sie gingen zu einem Brunnen, wuschen sich und schöpften Wasser. Andere kamen hinzu, riefen Befehle, woraufhin immer mehr Männer auf dem Platz erschienen. Schließlich wurden die Gefangenen aus der Scheune geholt und in Gruppen aufgeteilt. Für einen Moment meinte Lena,
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