Die Hure von Bremen - historischer Kriminalroman
mit seiner Frau ist, und umgekehrt, versucht kaum jemand zu fliehen.«
In diesen Tagen lernte Lena ihren Bruder Kurt immer besser zu verstehen. Er hatte eine Fingersprache erfunden und konnte sich so einigermaßen verständigen. Geduldig versuchte er ihr verständlich zu machen, dass er seine Brüder vermisste, aber froh war, dass Lena wieder bei ihnen war, und wurde immer anhänglicher. Er besaß noch das Holzpferd, das sie ihm auf das Kissen gelegt hatte, als sie fortgebracht wurde. Es berührte sie tief, es wiederzusehen, vor allem weil der kleine Bruder es so in Ehren hielt. Seinen Vater erwähnte er nicht, und auch ihre Mutter vermied das Thema, wenn Kurt in der Nähe war.
Sonntags kam ein Priester zu ihnen und zelebrierte eine kleine Messe. Er besuchte sowohl die Frauen als auch die Männer, sodass er Botschaften in beide Richtungen übermitteln konnte.
Der Geistliche war noch recht jung, hatte strohblonde Haare und eine Nase, die an einen Habicht erinnerte. Heute erzählte er von der Befreiung Jerusalems, und das so inbrünstig, dass selbst Lena ergriffen lauschte. Am Ende verkündete er das Neueste von der Front: »Die Schlacht an der Aller steht kurz bevor. Es heißt, dass beide Seiten inzwischen in Stellung gegangen sind. Leider weiß noch niemand, wann es zur Entscheidung kommt, ob es noch eine gütliche Einigung gibt. Der Graf von Lüttich hat sich mit seinen Truppen Hoya endgültig angeschlossen.«
Der Priester machte eine Pause, weil ein Raunen durch die Reihen der Frauen ging. Angst spiegelte sich in ihren Gesichtern wider. »Dennoch soll Bremen noch immer zahlenmäßig überlegen sein, wenn auch nicht mehr so stark wie zuvor.«
Das klang alles danach, als würde Bremen es nun schwerer haben. Lenas Magen zog sich empfindlich zusammen. Bremen war ihr Zuhause geworden. Sie mochte die Stadt an der Weser.
»Was geschieht mit uns, wenn Bremen verliert?«, fragte eine der Frauen besorgt.
»Ja, und mit unseren Männern und Söhnen, was wird aus ihnen?«, warf eine andere ein.
Der Priester hob die Hände, und die Frauen verstummten. »Wir müssen beten und Gott vertrauen. Er wird es richten.«
»Ja, ja«, erklang es aus einer Ecke.
»Nur im wahren Glauben werdet ihr Kraft finden«, mahnte der Priester, dessen Gesicht die Farbe einer unreifen Kirsche annahm.
Schließlich drängten sich die Frauen um ihn und erkundigten sich nach ihren Männern, Söhnen und anderen Verwandten. Sie gaben dem Priester Botschaften für sie mit auf den Weg und erbaten auch für ihre Kinder seinen Segen, den er gern gab.
Als Lena an der Reihe war, betrachtete er sie einen Moment.
»Du bist also Lena.«
»Ja, woher wisst Ihr das?«
»Ich war gestern Morgen im Lager der Männer, weil einer von den Ältesten zu unserem Herrn heimgegangen ist. Dort sprach mich Laurenz an. Ich soll dir ausrichten, dass es ihm gut geht. Du sollst nichts unternehmen, bis du von ihm hörst.«
»Er sorgt sich um mich.« Lena lächelte.
»Das schien mir auch so. Er meinte, du neigst dazu, überstürzt zu reagieren.«
»Hm. Ich werde nichts ohne ihn unternehmen. Würdet Ihr ihm das ausrichten, damit er beruhigt ist?«
»Von Herzen gerne.«
»Danke, Hochwürden.«
»Und wie geht es dir hier?«
»Gut. Richtet Laurenz bitte auch aus, dass ich meine Mutter und meinen Bruder hier wiedergefunden habe.«
»Das werde ich ihm gern übermitteln. Hast du sonst noch etwas auf dem Herzen?«
Lena schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Der Herr beschütze und behüte dich.«
»Amen.«
Er wandte sich an die versammelten Frauen, die aufgeregt miteinander tuschelten. »So wünsche ich euch eine gesegnete Woche. Ich werde versuchen, etwas zu essen für euch zu beschaffen.« Damit verabschiedete er sich von allen und verließ sie eilig.
Kurz nach dem Mittag brach plötzlich unweit des Stalls ein Tumult aus. Ein Pferd wieherte lautstark, und Männer schrien durcheinander. Neugierig sahen die Frauen nach, was da vor sich ging, und entdeckten ein wild bockendes Pferd und einige Soldaten, die versuchten, es einzufangen. Gespannt verfolgten sie das Spektakel. Das Pferd stieg auf und trat mit den Vorderhufen, nur um gleich darauf wie ein Bock herumzuspringen und mit den Hinterhufen auszuschlagen. Dabei warf es die ganze Zeit den Kopf hoch und runter.
»Dem Pferd fehlt etwas, vielleicht etwas am Huf« sagte Silke.
»Oder eine Kolik«, warf Grete, eine alte Bäuerin, ein.
Ein beherzter Soldat sprach behutsam auf das bockende Pferd ein, während er sich ihm
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