Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
»Ich glaube nicht, dass es sich um etwas Ernstes handelt, aber ich wollte es dir doch wenigstens gesagt haben. Ich werde gleich mit Milo sprechen.«
Als sie fort war, verharrte Carlotta am Fenster mit Blick auf den Hof. Ein warmer Wind spielte mit den Linden, sodass sich die Äste hoben und senkten wie zum Gruß. Alles war so wie vorhin, als sie die Gläser geputzt hatte, und doch hatte sich etwas verändert: Die Sorglosigkeit war verschwunden, war gegangen wie ein Gast, der sich nicht wohlgefühlt hatte. Wie lange hatte der Seelenfrieden angedauert? Waren es zwei, drei Stunden gewesen? Eine halbe Stunde? Eine halbe Stunde in fünfundzwanzig Jahren!
Sie spürte, dass sich etwas näherte, nichts Gegenständliches, nichts Greifbares, nichts Erklärbares. Und es gab keinen Ort, an den sie sich davor hätte flüchten können.
Sie versuchte, ruhig zu bleiben, aber als sie das Tablett anhob, zitterten die Gläser, spielten sie die Melodie der Angst.
24
»Wenn ich gewusst hätte, welche Arbeit es bedeutet, sich zu verheiraten …« Bianca Carissimi ging Antonia auf der Treppe voran und seufzte mit dem besonderen Ausdruck von Menschen, die alles daran setzen, dass man ihre Erschöpfung bemerkt, dass man sie aber zugleich dafür bewundert, dass sie sich diese Erschöpfung nicht anmerken lassen.
»Die Einladungen schreibe ich selber, das ist man den Gästen schuldig, nicht wahr? Zweihundert, vielleicht dreihundert Mal dasselbe schreiben! Und die passende Garderobe für die tagelangen Feierlichkeiten nach der Hochzeit zu finden, ist eine Herausforderung sondergleichen.«
Tatsächlich sah es in Bianca Carissimis Zimmer so chaotisch aus, als habe ein Raub stattgefunden: Kleider auf dem Boden, dem Bett, den Sesseln, Kleider, die aus Truhen quollen, und Kleider, die sich auf dem Fenstersims nach draußen beugten.
»Manch andere Frau würde den Verstand verlieren angesichts der Aufgaben, die mir bevorstehen. Aber ich beiße die Zähne zusammen und sage mir, dass alles einmal vorbeigeht.«
»Wirklich tapfer«, sagte Antonia.
Bianca lächelte dankbar wie jemand, dessen Talente bisher von der ganzen Welt verkannt wurden. »Bitte, nehmt Platz.«
Das war gar nicht so einfach. Alles, was man nur im Entferntesten als Sitzplatz hätte in Betracht ziehen können, war von Seide und Satin belegt. Während Bianca hektisch in einer Truhe wühlte, räumte Antonia sich einen Sessel frei, indem sie drei Kleider vorsichtig beiseite schob.
Es war ein seltsames Gefühl für sie, sich im Haus von Sandros Jugend zu befinden, ein Gefühl, so als nähere sie sich einem Gemälde, das sie schon seit einer Weile aus der Ferne betrachtet hatte. Am liebsten hätte sie Bianca gefragt, wo sich Sandros ehemaliges Zimmer befand, in welchem Raum er sich am wohlsten gefühlt hatte, ob es einen Diener oder irgendeine andere gute Seele gab, an der er sehr gehangen hatte. Sicher hätte Bianca geantwortet, dass sie selbst dieser Liebling Sandros gewesen war – auch wenn es nicht stimmte, denn allem Augenschein nach war Bianca ein äußerst selbstbezogenes Mädchen, und solche Menschen sind selten jemandes Liebling. Trotzdem war sie natürlich ein Teil von Sandros Leben, und die Versuchung war für Antonia groß, von Bianca mehr über Sandro zu erfahren. Der Gedanke kam ihr, dass Sandro das vielleicht sogar beabsichtigt oder zumindest als Nebeneffekt einkalkuliert haben könnte. War das seine Art, ihr Zutritt zu seinem Leben zu verschaffen? Oder war nur mal wieder der Wunsch der Vater des Gedankens?
Bianca hielt zwei Kleider wie Jagdtrophäen hoch. »Was meint Ihr, steht mir das Zitronengelbe besser oder doch das Meerblaue?«
»Ich weiß nicht recht.« Antonia zögerte und meinte es genau so, wie sie es sagte. Wenn sie sich überhaupt für Kleider interessierte, dann nur für die der Männer, und dann auch hauptsächlich für die Frage, wie sie wohl ohne diese Kleider aussahen.
»Das meerblaue«, sagte Bianca, »bringt hervorragend die Blässe meiner Haut zur Geltung, während das zitronengelbe
Kleid besser zu meinem Haar passt. Leider kann man keine Perlen dazu tragen. Ich bin wirklich unschlüssig.«
»Ich auch«, bestätigte Antonia.
Biancas Blick zog über Antonias schlichte Kleidung und nahm dabei einen Ausdruck an, als habe Sandro bei der Wahl seiner Geliebten einen verbesserungswürdigen Geschmack.
»Nun, dann lassen wir das«, sagte Bianca und warf die beiden Kleider achtlos zu Boden. »Ich werde meinem Vater einfach sagen, dass er mir mehr
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