Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Julius schmunzelte. »Mit der Politik
und ihren Händeln ist es wie mit der Nacht, Sandro: Unsere Augen müssen sich erst an sie gewöhnen. Aber dann findet man sich gut darin zurecht.«
Sandro erhob sich. »Ich danke Eurer Heiligkeit für die Auskünfte. Wenn Ihr gestattet – es wartet noch sehr viel Arbeit auf mich.«
»Hast du nicht etwas vergessen?« Julius ergriff Sandros Hand wie ein Bittsteller, ein Flehender. »Die Absolution, Sandro, die Vergebung der Sünden, die ich gebeichtet habe. Ich bereue meine Tat, und ich will dafür büßen.«
Die Absolution hatte Sandro tatsächlich vergessen, vielleicht, weil er sie am liebsten nicht erteilt hätte. »Baut ein Armenhaus für verwaiste Mädchen und ledige Frauen, und zwar hier in Rom.«
»Das werde ich tun. Aber – ich möchte auch dir persönlich einen Bußdienst erweisen. In Trient hast du mich gebeten, einer Glasmalerin einen Auftrag in Rom zu verschaffen, was ich getan habe, und vor einiger Zeit hast du mich um einen weiteren Auftrag für diese Frau ersucht. Ich habe abgelehnt, weil ich keine Schwierigkeiten mit der Gilde der Glasmaler, die Frauen nicht aufnehmen, bekommen wollte. Aber für dich und als Teil meiner Buße werde ich dir deine Bitte erfüllen, Sandro. Und zwar sofort. Ich habe bereits alles vorbereitet. Hier« – er überreichte ihm eine Schriftrolle – »ist der Auftrag.«
Sandro hätte ablehnen sollen. Es war unüblich und geradezu lästerlich, einen persönlichen Gefallen als Gegenleistung für die Absolution entgegenzunehmen. Andererseits suchte er händeringend nach einem Weg, Antonia von diesem Hurenhaus und allem, was damit zu tun hatte, wegzulocken. Ein weiterer Auftrag würde sie in Rom halten, in seiner Nähe …
Er legte seine Hand auf das Haupt des Papstes. »Dominus noster Jesus Christus te absolvat: et ego auctoritate ipsius te absolvo ab omni vinculo excommunicationis, et interdicti, in
quantum possum, et tu indiges. Deinde ego te absolvo a peccatis tuis, in nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti. Amen.«
»Amen«, sagte Julius im Tonfall eines Menschen, dem man den Schmerz genommen hatte.
23
Carlotta putzte Gläser. Die Küche des Teatro war eng und roch schlecht, und Gläserputzen war keine Arbeit, die Freude machte, auch wenn man dabei auf die Lindenbäume des Hofes blickte. Dennoch lächelte Carlotta, versunken in ihre Arbeit, vor sich hin. Der Augenblick, ja, der ganze Tag seit dem Erwachen erinnerte sie an ihre Kindheit in der Schänke ihrer Eltern. Sie war fünfzehn Jahre alt gewesen, als sie an einem blauen Frühlingsmorgen wie diesem am Fenster gestanden und Geschirr abgewaschen hatte. Bei der Arbeit war ihr Blick immer wieder nach draußen abgeschweift. Der Wind hatte vergeblich am jungen Laub gezerrt, und obgleich die Äste der Bäume einen wilden Tanz aufgeführt hatten, war kein Blatt mitgerissen worden. An jenem Tag, in jenem Augenblick, war sie zum letzten Mal in ihrem Leben sorglos gewesen. Die Eltern waren nicht reich, die Schänke war alles, was sie besaßen, und sie waren auch nicht über die Maßen gütig. Für Carlotta und ihre Brüder hatte es stets viel Arbeit gegeben, an Träumereien war nicht zu denken. Trotzdem hatte sie sich aufgehoben gefühlt in dieser Kindheit, und bis sie fünfzehn Jahre alt war, war das Leben wie die Fahrt auf einem gemächlichen Strom gewesen.
An jenem letzten sorglosen Tag hatte Carlotta ihren späteren Gatten kennen gelernt, und von da an veränderte sich alles. Natürlich hatte sie Pietro geliebt und viele gute Zeiten mit
ihm erlebt – eine Frau konnte keinen besseren Mann haben -, trotzdem stellte sich die Unbekümmertheit früherer Tage nie wieder ein. Die Verliebtheit, die Liebe, die Hochzeit, der Umzug in eine neue Umgebung, das Einrichten in der Zweisamkeit, die Geburt Lauras, ihre ersten Schritte und Worte, die Hoffnungen auf eine Karriere Pietros: Vieles davon war schön und aufregend gewesen, manches machte sogar die schönsten Stunden von Carlottas Leben aus, und doch war es nicht zu vergleichen mit dem Zustand am Frühlingsmorgen vor dem Fenster der Schänke, gleichsam der Fahrt auf dem gemächlichen Strom.
Das Erstaunliche war nun, dass sich genau jenes damalige Gefühl wieder einstellte. In gewisser Weise kam Carlotta sich wie das Mädchen in der Schänke vor, ein Wesen ohne große Träume und ohne großes Glück. Was bedeuteten Träume und Glück denn schon? Mit dem Glück verhielt es sich doch so, dass man es gar nicht erkannte, wenn es sich
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