Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
auf. »Ihr wagt es, meinen Bruder, einen Farnese, einen Dieb zu nennen?«
»Beruhigt Euch, Don Ranuccio, Ihr werdet gleich bemerken, dass ich auf etwas anderes hinauswill. Die Ohrringe sind der Schlüssel zu einem Geheimnis, auf das er gestoßen ist, und sie sind der Faden, der drei Menschen miteinander verknüpft.« Er zählte an den Fingern auf. »Sie lagen in Maddalenas Sekretär. Sebastiano hatte die Ohrringe bei sich, als er zu der Feier ging – denn wozu hätte er einen leeren Beutel mitnehmen sollen? -, doch als man seine Leiche fand, war nur noch der Beutel da.
Zwei Mordopfer, die zunächst einmal nichts verbindet, hatten mit diesen Ohrringen zu tun. Doch sie gehörten weder der einen noch dem anderen. Sie gehörten der dritten Person.«
Sein Blick schweifte über die Runde und blieb schließlich bei einer Person hängen.
»Signora A«, sagte er.
Sie zuckte zusammen. »J-ja?«
»Von allen hier standet Ihr Maddalena am nächsten. Ihr wart für sie – eine innige Freundin. In letzter Zeit jedoch nahm eine andere Frau diesen Platz ein, die Dirne Porzia, die mehrmals zu Gast in dieser Villa war. Ich nehme an, bei ihrem letzten Besuch vergaß sie ihre Ohrringe, eine kleine Vergesslichkeit mit großen Folgen. Maddalena legte sie in den Sekretär, um sie Porzia bei nächster Gelegenheit zurückzugeben, wozu sie jedoch nicht mehr kam. Sebastiano holte das nach. Am Abend seiner Ermordung übergab er die Ohrringe der rechtmäßigen Eigentümerin, und sie war es, die ihn wenig später umbrachte.«
»Ihr sagt, die Eigentümerin der Ohrringe hat Sebastiano umgebracht?«, rief Kardinal Quirini dazwischen.
»Das stimmt.«
»Aber wenn die Dirne Porzia die Mörderin ist, warum trommelt Ihr dann uns alle hier zusammen? Was haben wir damit zu tun? Im Übrigen: Sie ist tot, das habt Ihr selbst gesagt. Verdächtigt Ihr einen von uns, sie umgebracht zu haben?«
»Keineswegs, denn sie wurde nicht umgebracht.«
»Aber Ihr sagtet doch …«
»Ich sagte, alles deute darauf hin. In Wahrheit ist Porzia äu ßerst lebendig. Ihr vermeintlicher Tod ist nur die letzte einer ganzen Reihe von Täuschungen und Ablenkungsmanövern, mit denen Sie mich – uns alle – in die Irre geführt hat.«
Er holte tief Luft und sagte: »Porzia befindet sich in diesem Raum. Sie sitzt mitten unter uns.«
Den Männern fielen die Kinnladen herunter, und die anwesenden
Frauen sahen sich gegenseitig an – bis auf eine, die, bleich und kraftlos, sich der Wahrheit zu ergeben schien. Es gab nichts mehr zu leugnen.
Sandro sah ihr in die traurigen, schwarzen Augen. »Die Dirne Porzia und Donna Francesca sind ein und dieselbe Person.«
Keiner sprach, keiner bewegte sich. Für einen Moment war es, als habe ein böser Zauber alle diese Zungen eingefroren. Dann schlugen fast gleichzeitig Wogen der Empörung, des Entsetzens, der Fassungslosigkeit empor. Elisa erlitt einen Anfall von Atemnot, und Ranuccio sprang auf und schleuderte Sandro seinen erheblichen Vorrat übler Schimpfworte entgegen. Inmitten dieses Durcheinanders gab es nur einen Ruhepol: den Blick zwischen Sandro und Francesca. Ein Ausdruck leichter Belustigung zog über Francescas Gesicht, ein sanfter Triumph angesichts der entrüsteten Welt um sie herum. Doch dieses Gefühl verschwand schnell wieder. Als die Anwesenden nach einer Weile zur Ruhe kamen, als sie den ersten Schreck überwunden und ihre Aufmerksamkeit von Sandro, dem Ankläger, auf die angeklagte Francesca gerichtet hatten, wich sie den Blicken aus, sah auf ihren Schoß, und während sie ihren Kopf nach vorn sinken ließ, fiel ihr der zarte Schleier der Haube vor das Gesicht, so wie die Frauen des antiken Rom ihre Schande mit Tüchern bedeckten.
Sandro wandte sich ab. Er ging wieder zur Anrichte, auf der Wein bereitstand, und seine linke Hand umschloss den Stiel eines der gefüllten Kelche. Seine Gedanken gingen zu Forli, seine Gebete gingen zu Gott. Gleichzeitig spürte er den Zorn über die Grausamkeit, die Gottes Ratschlüssen allzu oft zugrunde lag. Der Herr über Liebe und Tod hatte es zugelassen, dass ein im Grunde rechtschaffener Mann sich in eine Mörderin verliebt hatte.
Sandros Stimme war der Zorn nicht anzumerken, als er die Aufgabe zu Ende brachte und den Anwesenden auseinandersetzte, wie die Mörderin Francesca-Porzia zu Werke gegangen war.
Die Porzia, die er und Antonia in dem heruntergekommenen Haus in Trastevere aufgesucht hatten, entsprach natürlich in keiner Weise jener stillen, vornehmen, etwas
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