Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Terrasse, ein Weg, der an diesem Abend noch von einer weiteren Person genommen wurde.« Sein Blick streifte Quirini. »Tatsächlich ging es hier in den Stunden nach der Tat zu wie in einem Taubenschlag. Lassen wir jedoch alles, was in der Zeit zwischen Maddalenas Tod und meinem Eintreffen in der Villa geschah, beiseite, denn es ist für die Aufklärung des Verbrechens ohne Belang.«
Sandro durchquerte langsam den Raum und kam dabei an den Stühlen der Anwesenden sowie an der leicht geöffneten Tür zum Schlafgemach vorbei. »Maddalena Nera war vieles gewesen: formbarer Schützling, kühl denkende Geschäftspartnerin, wohlmeinende Freundin, beneidete Schönheit, verklärte Berühmtheit … Aber vor allem war sie eine Geliebte und eine Gehasste. Geliebt von den verschiedensten Menschen, solchen, von denen sie beherrscht wurde, und solchen, die sie beherrschte, eine ehrgeizige Geliebte ebenso wie eine hingebungsvolle Geliebte. Gehasst von all jenen, die in ihr nur ein Symbol für die Fehler Roms sahen, und von denjenigen, denen sie wehgetan hatte. Menschen wie Maddalena, die quasi über Nacht vom verarmten Niemand zur reichen Legende werden, provozieren die verschiedensten Gefühle, und die wenigsten davon sind harmlos. Ich bin sicher, dass, wenn man lange genug suchen würde, jeder in diesem Haus einen Grund gehabt
hätte, sie umzubringen. Eifersucht, Rache, unerwiderte Liebe, Geld, Angst, Verachtung, Selbstschutz: Unter diesem Dach sind alle Motive der Welt versammelt, einen Menschen zu töten. Wäre Maddalena als Einzige getötet worden – ich glaube nicht, dass ich jemals auf die Lösung gekommen wäre.«
Sandros Mutter stand auf. In ihrem voluminösen schwarzen Kleid, das sie mit pathetischer Würde ausfüllte, war sie die imposanteste Gestalt des Abends.
»Ich werde mir nicht weiter anhören, wie ich zu einer potenziellen Mörderin gemacht werde, während diese – diese Frau den Status einer Märtyrerin bekommt.«
Sandro ging zu ihr. »Bitte, Mutter, nimm wieder Platz.«
Sie sah an ihm vorbei. »Ich habe mit der Sache nichts zu tun. Darum werde ich jetzt gehen.«
Sandros Stimme vibrierte. »Das kann ich leider nicht erlauben. Ich muss dich bitten, der Sitzung beizuwohnen.«
Sie sah ihn an, und ihre Hände nestelten hektisch an dem Taschentuch herum, das sie bei sich trug. Dann, sichtlich erregt, gab sie nach.
Sandro schloss kurz die Augen und atmete tief durch.
»Der Tod Maddalenas war der Auftakt. Sebastiano Farnese starb vor zwei Tagen, eine Dirne namens Porzia ist heute Abend verschwunden, und alle Spuren deuten auf ein Gewaltverbrechen hin. Ich habe mich natürlich gefragt, was diese drei Menschen gemeinsam hatten, durch welchen Faden sie miteinander verknüpft waren. Und die Antwort befindet sich in diesem kleinen Leinensäckchen.«
Er hielt es so, dass alle es sehen konnten, zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe – eine etwas theatralische Geste, die er sich gönnte. Dann legte er es auf den Tisch zurück und ergriff stattdessen den Lederbeutel.
»Diesen Beutel fand ich bei seiner Leiche. Ich nahm an, er sei leer, bis Antonia Bender darin etwas entdeckte, das einer der
Schlüssel zur Aufdeckung des Geheimnisses ist. Sie fand diesen winzigen Smaragd. Alle anwesenden Damen werden mir zustimmen, wenn ich sage, dass ein Stein dieser geringen Größe nur Teil eines Ensembles sein kann, einer Kette beispielsweise – oder Teil eines mit Edelsteinen besetzten Ohrrings.«
Sandro wies auf den Sekretär.
»An dem Morgen nach Maddalenas Tod, als Sebastiano die Villa betrat, um mit mir zu sprechen, war der Sekretär geöffnet so wie jetzt. Ich habe die Anordnung der Gegenstände rekonstruiert: Feder, Tinte, ein Fächer, einige Lederbeutel – alles liegt so da wie an jenem Morgen, mit einer Ausnahme, auf die ich gleich zu sprechen kommen werde. Nun, wenn man in die Wohnhalle hereinkommt, fällt fast unweigerlich der Blick auf dieses Möbel, und Sebastiano sah plötzlich etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte. Er sah ein Paar silbern gefasste, hübsch ornamentierte Ohrringe, besetzt mit Smaragden, und da er unbeobachtet war, nahm er sie an sich und verstaute sie in einem braunen Lederbeutel, von denen sich – wie jeder sehen kann – mehrere im Sekretär befanden. Den Beutel steckte er in seine Kutte und verwahrte ihn dort während der Zeit seiner Ausgangssperre. Ich hatte hinterher zwar den Eindruck, dass etwas fehlt, war mir aber nicht sicher, ob ich mir das nur einbildete.«
Ranuccio sprang
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