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Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom

Titel: Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Abschied, wie man es tut, wenn man einen Ort verlässt, an dem man eine Zeit lang gelebt hat.
    Das Zimmer war leer, kein einziger Gegenstand befand sich mehr darin, noch nicht einmal ein kleines Stück Kohle für den Ofen. Alles, was das Leben ausfüllt, fehlte.
    Ein Mensch in einem leeren Raum, dachte er, ist ein seltsamer Anblick, voller Melancholie.
    Er zog den Dolch und näherte sich ihr auf leisen Sohlen. Heute war die letzte gute Gelegenheit, den Mord zu begehen, denn ab jetzt würde Carlotta da Rimini im Teatro wohnen und leben. Natürlich könnte er sie auch dort töten, doch nicht, ohne sich selbst in Verdacht zu bringen.
    Als er unmittelbar hinter Carlotta stand, spähte er über ihre Schulter, folgte ihrem Blick. Auf der Piazza del Popolo herrschte wenig Betrieb. Es war Sonntag, und auf dem Petersplatz hatte soeben die feierliche Papstmesse begonnen.
    Eine Greisin schlurfte über die Piazza, ein Trinker sank betäubt an einer Säule nieder. Grünlich schimmernde Vögel tanzten am Himmel.
    Er hatte sich neulich vorgestellt, wie Carlotta niedergestochen auf dem Boden dieses Zimmers läge und ein warmer Frühlingsregen ans Fenster klopft. Dieses Bild hatte ihm gefallen.
Doch jetzt, wo die Sonne über Rom stand und die Piazza del Popolo in der Sonntagsstille ruhte, kam er auf eine andere Idee.
    Er steckte den Dolch wieder ein.
    In diesem Moment fuhr Carlotta herum. Vielleicht hatte sein Atem ihr Haar berührt, vielleicht war ihr ein dünner Duftfaden des Sandelholzes, mit dem er seine Hände gerne einrieb, in die Nase gestiegen.
    »Milo, hast du mich erschreckt«, rief sie und fasste sich ans Herz. »Ich dachte schon … Ich dachte, du wärst einer, der mir Übles will. Wie schön, dich zu sehen. Hat deine Mutter dich geschickt, um mich nach Hause zu begleiten?«
    Er lächelte sie an – und dann gab er ihr einen Stoß. Sie fiel rücklings über die Fensterbrüstung und stürzte in die Tiefe. Sie hatte keine Zeit zu schreien.
    Niemand bemerkte ihren Tod.
    Die Greisin schlurfte weiter über den Platz, der Trinker schlief, die Vögel tanzten.
     
    Das Agnus Dei erklang, erhob sich und vereinigte sich in unendlichen Wiederholungen. Chor und Fanfaren jagten Schauer auf Schauer über die Rücken der Gläubigen, während Papst Julius III. die Hostie segnete.
    Agnus Dei, qui tollis peccata mundi: miserere nobis. Lamm Gottes, Du nimmst hinweg die Sünden der Welt: erbarme Dich unser.
    Die Hostie wurde zum Fleisch Christi. Julius streckte es in die Höhe, der Sonne entgegen, die an diesem späten Vormittag mild vom Himmel schien.
    Sandro war umgeben von Würdenträgern, den Kardinälen und Äbten, den hohen Repräsentanten des städtischen Roms, den Botschaftern aus Spanien, Frankreich, Schottland, Neapel, Florenz, Venedig und dem Reich, und von den Architekten des
Doms, deren berühmtester Michelangelo Buonarroti war. Jeder Einzelne war tausendmal berühmter oder begabter oder mächtiger oder reicher oder edler von Geburt als Sandro.
    Doch was geschah?
    Julius schritt auf Sandro zu und bot ihm die erste Hostie dar – unglaublich. Die erste Hostie des Gottesdienstes, aus den Händen eines Papstes, war die höchste informelle Auszeichnung, die man bekommen konnte, gleich dem Ritterschlag eines Herrschers. Und das vor den Augen des römischen Volkes und den Botschaftern der Welt!
    Julius sah Sandro an und nickte ihm unmerklich zu, so als verneige er sich ganz leicht vor seinem Gegenüber. »Der Leib Christi.«
    Sandro stockte kurz der Atem, dann öffnete er seinen Mund und nahm die Hostie auf.
    Schließlich und endlich, dachte er, hatte sich doch noch einiges zum Guten gewendet. Er hatte sich mit Antonia ausgesöhnt und eine Basis geschaffen, auf der sich aufbauen ließe. Forli war gerettet, ein Mordfall gelöst, ein Waisenhaus in Auftrag gegeben, das jesuitische Hospital besser ausgestattet und Massa in die Schranken gewiesen worden. Und er selbst war aufgestiegen, ohne seine Ideale verraten zu haben. Durfte er sich nicht freuen, wenigstens ein kleines bisschen?
    Er durfte.
    Der Chor jauchzte ein letztes Mal auf. Dona nobis pacem. Gib uns den Frieden.
    »Amen.«

39
    Der Morgen, an dem Carlotta im Grab versank, war kalt und trostlos. Mitten im schönsten Frühling war das Wetter umgeschlagen. Der Regen war fein und legte sich wie ein Schleier auf die Gewänder, und ab und zu wurde er von einer Bö in Antonias Gesicht getrieben, die dann ihre Augen schloss und wartete, dass es vorüberging. Manchmal ließ sie die Augen

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