Die Hure von Rom - Walz, E: Hure von Rom
Hälfte in ein mildes violettes Licht getaucht.
Carlotta ging vorsichtig über das Splittermeer, jeder Schritt ein entsetzliches Knirschen unter den Stiefeln, ein Zermahlen eines ehemaligen Traumes ihrer Freundin.
»War er das?«, fragte sie. »Hat Sandro das angerichtet?«
Antonia blickte auf den Glasstaub, den Carlottas Stiefel hinterließen. Sie benötigte eine Weile, ehe sie leise antwortete: »Die eine Hälfte hat er beigesteuert, die andere Hälfte ich. Wie bei einem neu gegründeten Hausstand. Nur, dass wir uns nicht im Aufbauen ergänzen, sondern im Zerstören.«
Carlotta besah sich das Desaster. »Ihr habt ganze Arbeit geleistet. Ist schon seltsam: Du bist eine Deutsche, und er ist bloß Halbitaliener, und doch streitet ihr euch, als würde das Blut von zehn Generationen Sizilianern durch eure Adern fließen.«
Carlotta räumte vorsichtig einige Splitter beiseite. »Bei dir verstehe ich es ja noch. Du hattest seit Monaten keinen Mann, und vor drei Wochen bist du mit deinem Auftrag fertig geworden. Keinen Mann und kein Glas zum Spielen – kein Wunder, dass du durchgedreht bist. Aber Sandro Carissimi, der ewig Beherrschte... Ich bin fast beeindruckt. Hast du ihn provoziert?«
»Das kann man wohl sagen.«
»Verstehe«, sagte Carlotta und fügte mit einem Blick auf Antonias Nacktheit hinzu: »Und dann hast du ihm die Kutte vom Leib gerissen, und ihr habt euch eine Stunde lang leidenschaftlich im Bett gewälzt.«
Antonia blickte traurig zu ihr auf.
»Oh, Liebes«, sagte Carlotta. »Es tut mir leid. Du weißt, dass ich nicht sehr gut bin im Trösten.« Sie setzte sich neben Antonia. »Ist es so schlimm gewesen?«
»Sehr schlimm.«
»Ist es vorbei, das zwischen euch?«
»Wie kann etwas, das nie begonnen hat, vorbei sein?« Antonia nahm eine blaue Scherbe und ließ sie durch ihre Finger gleiten. »Ich habe mir die ganze Zeit über etwas vorgemacht.«
Carlotta zog eine Decke vom Bett und legte sie über Antonia. »Du musst frieren, Liebes. Wie lange sitzt du schon hier herum?« Als sie keine Antwort erhielt, fragte sie: »Hast du dich ihm so gezeigt? Nackt?«
»Mir fiel kein anderer Weg mehr ein. Ich habe mich verhalten wie eine Straßendirne, und er hat mich wie eine Straßendirne behandelt.« Antonia warf die blaue Scherbe resigniert zu den anderen. »Er hat meine Hand von seinem Körper weggestoßen, als – als ekele sie ihn an. Als sei das Einzige, was ich von ihm will, eine Stunde im Bett. Möglicherweise stimmt das sogar, ich weiß es nicht mehr. Ich habe es vergessen.«
»Das ist Unsinn, Liebes. Du würdest nicht sechs Monate
lang darauf warten, mit einem bestimmten Mann zu schlafen, wenn du ihn nicht liebst. Einen Mann kriegst du doch jederzeit. Du hattest zwei Gelegenheiten seit Januar, obwohl du dich nicht bemüht hast.«
»Drei Gelegenheiten. Gestern hatte ich die dritte.« Antonia blickte Carlotta fragend an. »Sei jetzt ganz ehrlich: Bin ich eine unmoralische und verdorbene Frau, Carlotta?«
»Oh, Liebes, was für eine Frage!« Sie streichelte über Antonias weizenblondes Haar. »Natürlich bist du eine unmoralische Frau. Und wie unmoralisch du bist!« Damit brachte sie Antonia zum Lächeln. Sie gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Im Ernst, du bist tatsächlich unmoralisch – im besten Sinne. Du unterwirfst dich keiner sittlichen Moral, sondern genießt, und genießerische Menschen bringen weit weniger Unglück über die Welt als die anderen, die ewigen Gefängniswärter der Tugend. Aber verdorben bist du nicht. Verdorben sind diejenigen, die Gefallen daran finden, anderen Menschen zu schaden. Was du tust, tust du aus Freude am Leben. Weder ich noch Sandro Carissimi würden dich lieben, wenn du moralisch wärst.«
Antonias Kopf sank müde auf Carlottas Schulter. »Aber irgendwo muss doch der Fehler liegen, Carlotta? Ich liebe ihn, er liebt mich, das Ergebnis müsste eigentlich feststehen.«
»Wenn ihr Kater und Katze wärt, würde es das wohl auch. Bei Menschen ist es nicht ganz so einfach. Du bist dreißig Jahre alt, Liebes, du solltest das eigentlich wissen. Die vielen Männerbrüste, die du geküsst hast, haben dir anscheinend den Blick für die bittere Wahrheit getrübt: Das Leben ist kompliziert, weil die Menschen kompliziert sind. Und dein Sandro ist der König der Komplexität, denn er ist ein Geistlicher der Kategorie vier.«
Antonia hob ihren Kopf und blickte Carlotta fragend an. »Kategorie vier?«
Carlotta nickte. »Aus Sicht der Huren gibt es vier Kategorien
von
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