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Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Stöckler
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beeilen. Sie raffte das Instrument an sich,
schlug die Kiste zu und sprang die Stufen wieder hinunter. Magdalene
starrte angestrengt aus dem Fenster und hatte nicht einmal Luzias
Abwesenheit bemerkt. Um so besser, dann würde sie ihr auch nicht das
Fernglas streitig machen. In Windeseile justierte Luzia die Gläser
ein, bis sie die Knechte deutlich erkannte. Zusammen mühten sie sich
mit dem Deckel ab, bis er aufsprang. Achtlos warfen sie ihn zur Seite
und stellten die Kiste auf. Als ob dieses Schauspiel nur für Luzia
gemacht sei, bekam sie den schönsten Ausblick darauf, was sie
enthielt.
    Sackleinen verhüllte etwas und der erste Knecht
zog den Lappen herunter. Luzia erschrak. Ein Gesicht starrte zu ihr
herüber. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie, dass es sich um
eine Skulptur handelte, leuchtende Farben umrahmten ein
Puppengesicht. Sogar aus dieser Entfernung bewunderte sie die
Kunstfertigkeit der Zeichnung, die einen kostümierten Mann mit
überkreuzten Armen darstellte. Warum bestellte sich der Apotheker
eine solche Statue? Wollte er die Einrichtung der weitläufigen Räume
des Schlosses nachahmen, in denen griechische Monumente standen? Das
amüsierte Luzia. Mit all der unnützen Zier wirkte die Wohnung des
Apothekers nur überladen, keinesfalls vornehm.
    Der eine Knecht hielt die Kiste aufrecht, der
andere machte sich an der Statue zu schaffen. Er klappte sie auf.
Überrascht sog Luzia die Luft ein. Damit hatte sie nicht gerechnet.
Es handelte sich also um eine seltsam geformte Truhe, kein antikes
Kunstwerk. Als der Deckel völlig geöffnet war, vergaß Luzia
vollends zu atmen. Ein Mensch steckte in der Truhe. Zumindest
erkannte sie die Umrisse eines eingewickelten Körpers.
    »Eine Mumie, wie er sagte.« Magdalene nickte
wissend.
    »Also … tatsächlich ein Mensch?« Luzia
wunderte sich.
    »Der Leichnam eines lange verstorbenen Pharaos,
eines Ägypterkönigs. So lange Jahrhunderte verbrachte er in der
Geborgenheit der Erde, um nun von diesem Barbaren zu Pulver zermahlen
zu werden, zwei Löffel bei Kopfweh. Gott strafe ihn!«
    Magdalenes Gesicht zeigte eine hektische Röte,
die Luzia beunruhigte. So sehr hatte sich die Schwägerin schon lange
nicht mehr aufgeregt! »Was empört dich daran?«
    »Ach, ich denke nur, dass dieser eingewickelte
Mann vielleicht Moses oder König David gekannt hat, möglicherweise
den Messias bei seinem Exil in Ägypten traf. Manche Heilige verehren
wir aus nur dem Grund, Zeuge eines Wunders gewesen zu sein. Und diese
Hände, die womöglich in denen des Heilands gelegen haben, zerstoßen
wir zu Brei und streichen sie auf grintige Ohren? Ein Sakrileg, bei
dem sich mir die Haare aufstellen!« Kurz hatte Luzia vergessen, wie
sehr Magdalene an Dingen der Vergangenheit hing, an alten Schriften
aus der Antike, wie gerne sie Geschichten über längst verflossene
Tage lauschte, darüber, wie die Menschen zu biblischen Zeiten gelebt
und gehandelt hatten. Keine Gelegenheit ließ sie aus, Lukas darum zu
bitten, ihr alte Schriften mitzubringen, und wenn sie noch so
zerlesen und verblichen waren. Einen solchen dicken Lederfolianten
hatte sie sich für helle Sonnenstunden vorgenommen, in denen sie die
kaum noch lesbaren Buchstaben sorgfältig mit frischer Tinte
nachmalte und so Sinn in den anderweitig unleserlichen Text brachte.
    »Aber … wenn es ein Heide war?«
    »In vorchristlicher Zeit gab es nur Heiden, was
uns nicht davon abhalten sollte, ihre Verdienste zu würdigen! Wenn
der Heiland noch nicht geboren war, wie konnte jemand ihm huldigen?
Sogar der selbstgerechteste Pfaffe befürwortet die Missionierung von
Heiden. Erst wenn einer von ihnen wissentlich die Erlösung ablehnt,
dürfen wir über ihn richten.«
    Wenn Magdalene das so sagte, wollte Luzia ihr
glauben, denn nichts las die Schwägerin lieber als die Geschichten
der Märtyrer, deren blutiges Schicksal ihr oft als Trost diente,
ihre eigenen Erlebnisse anzunehmen, ohne darüber zu verzweifeln. Ja,
auch Prostituierte, Zauberer und sogar Mörder hatten ihren Weg
gefunden und so viel Gutes für die Menschheit getan, dass sie
heiliggesprochen wurden. Was wussten sie von dem armen Mann, dessen
Leichnam dort unten so respektlos geschändet werden sollte?
    »Ich hörte, auch der Körper eines Heiligen
verwese nicht und gleiche in manchen Fällen dem einer Mumie«,
setzte Magdalene hinzu.
    »Und wenn … wenn dies ein Heiliger wäre?«
Vielleicht kam die Lieferung gar nicht aus dem Orient, sondern ein
Unverweslicher war aus einer

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