Die Hurenkönigin (German Edition)
ich Hinrichtungen verabscheue.«
»Ich bin der Hinrichtung ebenfalls ferngeblieben.« Lioba schien erst abschätzen zu wollen, wie die Aussage auf Ursel wirkte, ehe sie hinzufügte: »Aber keineswegs deshalb, weil ich Hinrichtungen verabscheue. Im Gegenteil, ich liebe derartige Spektakel. Es verschafft mir immer eine tiefe Befriedigung, zu sehen, dass es wieder einen Lumpenhund weniger auf der Erde gibt.« Wieder legte die Freifrau eine Kunstpause ein, während sie die Hurenkönigin keine Sekunde lang aus den Augen ließ. »Im Falle der bedauernswerten Nonne jedoch lag die Sache ganz anders. Nach meinem Dafürhalten hätte sie eine Auszeichnung verdient, dass sie diese Huren abgeschlachtet hat, die sowieso nur Unglück, Sünde und Krankheit über die Menschheit bringen!«
Ursel stockte der Atem, ihr sträubten sich sämtliche Nackenhaare. Liobas Antlitz war nur noch eine hasserfüllte Grimasse. Jetzt lässt sie die Maske fallen!, durchfuhr es die Hurenkönigin, und sie hätte der Harpyie am liebsten ins Gesicht geschlagen – doch dadurch hätte sie sich auch vollkommen preisgegeben. Die Worte hatten Ursel mitten ins Herz getroffen, ihre Gedanken überschlugen sich. Die Freifrau schien sich indessen wieder gefasst zu haben.
»Ihr seid aber zart besaitet«, bemerkte sie sarkastisch. »Das sieht man Euch gar nicht an. Ihr seht eigentlich so aus, als ob Ihr ordentlich was vertragen könntet. Aber da muss ich mich wohl in Euch getäuscht haben. Ich hoffe, ich habe Euch jetzt nicht allzu sehr verschreckt, so kurz vor dem Schlafengehen. – Ach, da fällt mir noch ein: Könntet Ihr uns morgen Abend bei Tisch aufwarten? Ich habe nämlich den Mägden für Samstagabend freigegeben. Vielleicht könntet Ihr auch der Köchin ein wenig zur Hand gehen?« Die Freifrau blickte die Hurenkönigin fragend an.
»Das kann ich machen«, erwiderte die Hurenkönigin.
Lioba von Urberg erhob sich vom Stuhl und lächelte Ursel an. »Ich wünsche Euch eine gesegnete Nachtruhe und süße Träume!«, säuselte sie wieder in aller Holdseligkeit und schritt zur Tür, wo sie den Arm hob und Ursel zuwinkte, ehe sie hinausging und hinter sich abschloss.
Ursel starrte fassungslos zur Tür und rang nach Luft. Genau wie damals auf dem Steg – das war nur allzu deutlich!
Sie fragte sich bestürzt, ob die Freifrau sie nicht schon längst durchschaut hatte und die ganze Zeit nur ein Spiel mit ihr trieb. Nagende Furcht ergriff von ihr Besitz. Dieser Hass in Liobas Gesicht, als sie von den ermordeten Huren sprach! Bei der Hurenkönigin verstärkte sich mehr und mehr der Verdacht, dass die Freifrau etwas über die Hintergründe der Morde wissen musste.
Und ich bin ihr in die Falle getappt! Ursel füllte sich mit bebenden Händen Wein in den Becher und stürzte ihn in einem Zug hinunter. Sie durfte auf keinen Fall in Panik geraten. Egal, welche Rolle ihr in Liobas teuflischem Spiel zukam, sie würde so lange mitspielen, bis die Masken fielen und sie den Mörder entlarven konnte. Und sie fühlte mit eisiger Gewissheit, dass dieser Moment nicht mehr fern war.
Mag sein, aber noch nicht heute! Die Worte der Freifrau gingen ihr durch den Sinn, und sie suchte sich gegen das, was kommen mochte, innerlich zu wappnen. Unwillkürlich schweiften ihre Blicke zum Fenster. Das Gewitter war weitergezogen, nur aus der Ferne war noch verhaltenes Donnergrollen zu vernehmen. Die Abenddämmerung tauchte das Turmzimmer in ein gespenstisches Halbdunkel. Vor dem geöffneten Fenster zeichneten sich die Umrisse der Schneiderpuppe ab, und Ursel kam es für einen Moment so vor, als handelte es sich dabei um die Freifrau.
Sie fing unversehens an zu frösteln und lauschte mit angehaltenem Atem in die Dämmerung. Weder vom Treppenhaus noch von draußen war ein Laut zu vernehmen. Die Luft stand förmlich im Raum, und es war noch immer unerträglich heiß. In der Hoffnung, ihre angespannten Nerven zu beruhigen, füllte sich Ursel erneut Wein in den Becher und nahm einen tiefen Zug. Doch der Alkohol brachte keinerlei Entspannung, sondern bescherte ihr nur einen dumpfen Kopfschmerz. Sie war viel zu aufgewühlt, um schlafen zu können. Immer wieder drehten sich ihre Gedanken um den morgigen Abend, an dem sie endlich den Freiherrn zu Gesicht bekommen würde. Einerseits kam das ihren Absichten sehr entgegen, andererseits erfüllte sie die Vorstellung, dem mutmaßlichen Mörder Auge in Auge gegenüberzutreten, auch mit großer Furcht.
Der Morgen graute bereits, als Ursel zu der Matratze
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