Die Hurenkönigin (German Edition)
im Mund. Es fiel ihr schwer, es hinunterzuwürgen, die Gegenwart der Freifrau schlug ihr auf den Magen. In der Hoffnung, dass der Bissen dann besser rutschte, schob sie noch eine Weintraube hinterher, aber dann war sie eigentlich schon satt.
Die Freifrau, die Ursel die ganze Zeit beobachtet hatte, erkundigte sich konsterniert: »Schmeckt es Ihr etwa nicht?«
»Doch, doch«, beeilte sich die Hurenkönigin zu erwidern und angelte nach einer weiteren Traube. Die Kau- und Schluckgeräusche in der Stille des Nähzimmers, in dem man, wie man so sagte, jede Nadel fallen hören konnte, waren ihr unangenehm – zumal Liobas Aufmerksamkeit auch nicht das Geringste entging.
Währenddessen kehrte die Magd mit dem Wein und zwei Zinnbechern zurück, schenkte ein und wollte sich mit einem Knicks wieder entfernen, doch Lioba befahl ihr, der Näherin im Turmzimmer ein Nachtlager herzurichten.
Kurz danach eilte die Dienerin mit einer zusammengerollten Matratze und Leintüchern unterm Arm herbei, bereitete vor den Wandregalen die Schlafstelle und empfahl sich wieder.
Das Donnergrollen war lauter geworden, als Lioba von Urberg den Zinnbecher hob und Ursel zuprostete. Die Hurenkönigin, die seltsam aufgewühlt war, nahm einen Schluck Rotwein, der ihr wie Pech in der Kehle stockte.
Nach wie vor herrschte ein beklemmendes Schweigen in dem Nähzimmer. Lediglich das Grollen des Donners durchbrach die Stille. Ursel wagte es kaum, erneut von dem Wein zu trinken, und konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass die Freifrau ihr Unbehagen auskostete. Um ihre Mundwinkel spielte ein boshaftes Lächeln. Bei aller Grazie, die ihren Zügen innewohnte, verströmte Lioba auch etwas Lauerndes, was die Hurenkönigin mit Bangigkeit erfüllte.
»Ich hoffe, Ihr verzeiht mir, dass ich Euch eingeschlossen habe«, richtete Lioba mit einem Mal das Wort an die Hurenkönigin und verzichtete zu Ursels Verblüffung darauf, sie, die von einem niedrigen Stande war, in der dritten Person anzureden. »Das ist nicht gegen Euch gerichtet. Ich bin nur so misstrauisch geworden, weil ich schon so häufig betrogen wurde …«
Unvermittelt verstummte die Freifrau, und Ursel war es, als hätte sich ein Tränenschleier über ihre Augen gebreitet. »Am schlimmsten von allen war mein Gemahl!«, stieß Lioba hervor, während ihre Glasmurmelaugen die Hurenkönigin förmlich durchbohrten. »Er hat mich aufs schmählichste belogen und betrogen. Ständig ist er ins Hurenhaus gegangen und hat sich dort mit den schlimmsten Metzen eingelassen!«
Die Zimmerin war wie vom Donner gerührt und fragte sich panisch, ob diese Worte an sie, an die Frankfurter Hurenkönigin, gerichtet waren. Sie hatte Mühe, die Fassung zu wahren.
Lioba, der Ursels Ringen um Beherrschung nicht entgangen war, lächelte amüsiert und rief aus: »Das braucht Euch doch nicht peinlich zu sein! Es ist ein offenes Geheimnis, dass mein Gatte – Gott hab ihn selig – ein schlimmer Schürzenjäger war. Nun gut, ob diese Gerüchte auch bis zu Euch nach Offenbach gedrungen sind, ist eine andere Frage …« Sie blickte die Hurenkönigin forschend an.
Die Zimmerin erwiderte zurückhaltend: »Davon habe ich nichts gehört, und, ehrlich gesagt, es interessiert mich auch nicht besonders, was die Leute so daherreden.«
»Tatsächlich?«, bemerkte die Freifrau. »Dann seid Ihr aber die erste Bedienstete, die mir jemals unter die Augen gekommen ist, die nicht gerne tratscht und die Leute aushorcht …« Liobas Blick schien genau das Gegenteil zu behaupten. Wieder fühlte sich Ursel auf unbestimmte Art ertappt.
Die Freifrau nippte an ihrem Becher, während die ersten Blitze über den Himmel zuckten und das dämmrige Zimmer in flackerndes Licht tauchten.
»Es wird bestimmt bald ein Unwetter geben«, murmelte Ursel.
»Mag sein«, entgegnete die Freifrau, »aber noch nicht heute …«
Ursel musterte verstohlen Liobas Profil. Ihr schien, als hätte die Freifrau eine eigentümliche Bedeutsamkeit in ihre Worte gelegt – aber sie konnte sich auch getäuscht haben.
»Dann habt Ihr auch bestimmt nichts von der Hinrichtung mitbekommen, die gestern Mittag auf der Mainbrücke stattgefunden hat?«, fragte Lioba mit unverhohlenem Spott.
Die Hurenkönigin, die spürte, dass die Freifrau sie erneut aufs Glatteis führen wollte, lachte auf und erwiderte: »Wie hätte mir das entgehen können, wo doch alle Welt dorthin geströmt ist … Ich war allerdings nicht da.«
»Weshalb?«, fragte die Freifrau verwundert.
»Weil
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