Die Hurenkönigin (German Edition)
wankte, um wenigstens für ein, zwei Stunden Schlaf zu finden. Sie war vom vielen Grübeln und Nachsinnen völlig gerädert. Ehe sie sich auf ihr Nachtlager sinken ließ, schob sie die Schneiderschere unter das Kopfteil. So hatte sie wenigstens das Gefühl, nicht ganz wehrlos zu sein.
15
»… denn er selbst, der Satan,
verstellt sich als Engel des Lichts.«
2. Korinther 11, 14
Samstag, 6. August 1511
Als Bernhard von Wanebach am frühen Morgen in Mainz an Bord des Marktschiffes ging, das in Kürze nach Frankfurt ablegen sollte, war er außerordentlich besorgt. Noch immer hielt er das zerknitterte Flugblatt mit den neuesten Nachrichten aus Frankfurt in den Händen, das er vorhin auf dem Marktplatz bei einem fahrenden Flugblatthändler erstanden hatte. Es berichtete ausführlich von den Gräueltaten der Nonne Theodora, die vorgestern im Main ertränkt worden war. In der Meldung wurde auch erwähnt, dass Holzleute am vergangenen Mittwoch die verkohlte Leiche der Frankfurter Hübscherin Isolde Bangert im Sachsenhäuser Forst gefunden hatten. Die bestialische Ordensfrau war offenbar auch für diesen Mord verantwortlich.
Seitdem er am Mittwochmorgen nach Mainz aufgebrochen war, um an der dortigen Universität einen Gastvortrag des berühmten Londoner Gelehrten Thomas More zu hören, plagten ihn wegen Ursel die schlimmsten Gewissensbisse. Wie konnte er sie nur in dieser schweren Zeit alleinlassen! Und das alles, weil sie ihr Versprechen gebrochen und wieder rückfällig geworden war. Immer wieder schalt er sich stur und herzlos, und gestern Abend hatte er schließlich den Entschluss gefasst, früher als geplant nach Frankfurt zurückzukehren, um seiner Geliebten beizustehen. Er konnte ohnehin an nichts anderes denken als an Ursel und die unglückseligen Ereignisse der vergangenen Tage. Bestimmt war sie am Boden zerstört, dass auch Isolde einen so grausamen Tod hatte sterben müssen, und würde sich bis zur Besinnungslosigkeit mit Theriak betäuben …
Während der Schiffsfahrt fing es heftig an zu regnen, erst kurz vor Frankfurt ließ der Regen allmählich nach. Als Bernhard über die Holzbohle das Schiff verließ und den Mainkai betrat, hatte er das Gefühl, gegen eine Wand zu laufen, so schwül war es. Wie immer stank es an der Kaimauer nach fauligem Fisch und Gerbereiabfällen, angewidert hielt er den Atem an, als er durch die Leonhardspforte eilte. Zielstrebig bog er nach links in die Alte Mainzergasse, um so schnell wie möglich zum Frauenhaus zu gelangen.
Bernhards Herz pochte wie wild, als er vor der Tür stand. In diesem Moment verspürte er eine unbändige Sehnsucht nach seiner Gefährtin. Er klopfte ungeduldig ans Portal.
»Wir haben geschlossen!«, krähte eine Stimme aus dem Innern des Hauses, welche der Gelehrte unschwer als die der alten Irmelin ausmachen konnte.
»Ich bin’s, der Bernhard«, rief er. »Ich will zur Hurenkönigin.«
Gleich darauf drehte sich der Schlüssel im Schloss, und Irmelin ließ ihn eintreten. Ihm fiel auf, dass die alte Hübscherin nach Wein roch, sie hatte wohl am frühen Morgen schon getrunken.
»Gut, dass Ihr da seid«, stieß die alte Hure bei seinem Anblick hervor und führte ihn in den leeren Schankraum. Als er sich dort suchend nach Ursel umblickte, erklärte sie ihm: »Die Meistersen ist nicht da.«
Bernhard war enttäuscht. »Was?«, murmelte er. »Wo ist sie denn?«
Irmelin winkte ab. »Das ist eine längere Geschichte. Setzt Euch erst mal hin, dann erzähl ich’s Euch.«
Bernhard nahm Platz und sah die alte Irmelin gespannt an. Seine Besorgnis war ihm deutlich anzumerken, und so eröffnete ihm Irmelin ohne Umschweife: »Die Meistersen ist am Donnerstagmorgen nach Sachsenhausen aufgebrochen, um dort nach dem Mörder von Rosi und Isolde zu suchen. Sie wollte sich da in einer Fremdenherberge einmieten und die Einheimischen über die Sachsenhäuser Adelsleute aushorchen. Hat sich sogar extra verkleidet, damit sie nicht so auffällt. Als Näherin wollte sie sich ausgeben, sah aus wie eine einfache Magd …«
»Was sind denn das für Geschichten!«, platzte es aus Bernhard heraus.
»Wem sagt Ihr das!«, entgegnete Irmelin und verdrehte die Augen. »Wir haben mit Engelszungen versucht, sie davon abzubringen. Aber das war vergebliche Liebesmüh. Ihr wisst doch, wenn sie sich was in den Kopf setzt …«
»Theodora hat doch alle Morde gestanden!«, fiel ihr Bernhard ins Wort.
»Schon, aber als die Meistersen am Abend vor der Hinrichtung bei ihr war, hat
Weitere Kostenlose Bücher