Die Hurenkönigin (German Edition)
hält sich irgendwo versteckt«, unterbrach Josef ihre Gedanken.
Die Zimmerin zuckte zusammen. »Gar nicht so abwegig«, murmelte sie. »Wo könnte sie denn stecken? Hast du eine Idee?«
Der Frauenhausknecht überlegte. »Hier in Frankfurt hat sie sonst doch niemanden. Die einzigen Leute, mit denen sie näher zu tun hat, wohnen hier im Frauenhaus. Höchstens noch ihre Eltern, aber zu denen hat sie schon seit Jahren keinen Kontakt mehr, und die sind auch viel zu weit weg. Sie wohnen irgendwo im Spessart. Da müsste sie ja erst einmal über die Lande ziehen …«
»Der Landgänger!«, unterbrach ihn Ursel und erklärte dem erstaunten Josef: »Rosis letzter Freier war ein fahrender Hausierer. Der hatte so einen großen, schweren Tornister auf dem Buckel, wie ihn die Landgänger immer haben, die in den Kaffs von Tür zu Tür ziehen. – Aber nein, da müsste sie ja von Sinnen gewesen sein, wenn sie sich dem angeschlossen hätte, so heruntergekommen, wie der aussah. Weiß Gott kein Mann, mit dem man sich gerne abgibt. Ich hoffe nur, dass der Hausierer sie nicht verschleppt hat. Das hat man ja schon gehört, dass Fahrende Dirnen aus den Frauenhäusern locken, um sie unterwegs als Wanderhuren für sich anschaffen zu lassen oder sie an Mädchenhändler zu verschachern. Der sah zwar eher schäbig als gefährlich aus, der Landgänger, aber – trau schau wem.«
Josef war hellhörig geworden und schlug mit der Faust gegen seine Handfläche. »Verdammt, wenn das einer von diesen Maroder Brüdern war! Das ist eine berüchtigte Gaunerbande, die hauptsächlich vom Mädchenhandel lebt. Wenn die hier in der Frankfurter Gegend sind, halten sie sich drüben im Galgenviertel auf. Ich geh gleich mal hin …«
»Das wirst du schön bleibenlassen!«, fiel ihm die Hurenkönigin ins Wort. »Du hast dich heute schon genug geprügelt. Es ist besser, wenn du hierbleibst und die Augen offen hältst.« Sie berichtete ihm von der toten Katze an der Tür und dem Satz auf dem Zettel.
»Wenn ich den erwische!«, polterte der Frauenhausknecht aufgebracht und erzählte Ursel, wie es zu seiner Wirtshausschlägerei gekommen war.
»Oje«, seufzte die Hurenkönigin, »ich glaube, da kommen schlimme Zeiten auf uns zu!«
3
Montag, 18. Juli 1511 – Donnerstag, 21. Juli 1511
Bürgermeister Nikolaus Reichmann ließ es sich am Montagmorgen nicht nehmen, die Gildemeisterin der städtischen Hurenzunft persönlich in seinem Amtszimmer im Römerrathaus zu empfangen. Auch wenn er die Hurenkönigin zuweilen fürchtete wegen der Unnachgiebigkeit, mit der sie für die Belange der Hübscherinnen eintrat, so sah er doch die Frau mit der üppigen Figur immer noch gerne. Früher hatte sie ihn schier um den Verstand gebracht. Außerdem lag Reichmann als Stadtoberhaupt das Frauenhaus am Herzen, denn es war, ebenso wie die schönen Frauen darin, ein wertvoller und gewinnträchtiger Besitz der Stadt, den es zu schützen galt.
Als die Zimmerin ihm berichtete, was passiert war, nahm er das mit angemessener Besorgnis auf.
»Gab es vielleicht irgendwelche ungewöhnlichen Vorkommnisse, einen Streit unter den Huren oder etwas in der Art?«, erkundigte er sich bei der Hurenkönigin.
»Nicht dass ich wüsste«, entgegnete Ursel knapp. Sie hatte sich entschieden, die Auseinandersetzung zwischen Rosi und Josef unerwähnt zu lassen. Je weniger die Obrigkeit über die Interna des Frauenhauses wusste, desto besser. Sie wurden seitens des Magistrats ohnehin schon genug reglementiert.
»Rosis letzter Freier, den sie am Samstagabend noch kurz vor der Sperrstunde empfangen hat, war ein fahrender Hausierer«, berichtete die Zimmerin und blickte den betagten Würdenträger, mit dem sie schon so manchen Strauß ausgefochten hatte, mit ernster Miene an.
»Was sagt Ihr da, Hurenkönigin? Ihr letzter Kunde war ein Fahrender!« Der hagere Bürgermeister war erregt von seinem Schreibtisch aufgesprungen, ergriff die Messingschelle, die auf der Mahagoniplatte lag, und läutete nachdrücklich nach dem Amtsdiener.
Sogleich eilte ein grauhaariger Dienstmann herbei und erkundigte sich nach seinem Begehr.
»Obergassenmeister Rack soll sofort zu mir kommen!«, schnarrte der Bürgermeister und ließ sich wieder auf seinen Lehnstuhl sinken. »Ein fahrender Lumpenhund also!«, wetterte er, denn ihm als Standesperson war das fahrende Volk ohnehin ein Dorn im Auge. »Der hat die Rosi bestimmt mitgeschleppt und verlustiert sich jetzt irgendwo auf unsere Kosten mit ihr.« Seine Nasenspitze
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