Die Hurenkönigin (German Edition)
mit zufriedenen Gesichtern entgegen. Ihrem Leibesumfang nach zu urteilen, standen sie alle kurz vor der Niederkunft. Eine Siechenmagd servierte den Frauen gerade Grießbrei mit Honig, den diese mit gutem Appetit verspeisten.
Schwester Theodora stellte Ingrid die Frauen als Handwerkergattinnen aus Sachsenhausen vor und erkundigte sich nach ihrem Befinden.
»Gut!«, erwiderten die Wöchnerinnen im Chor, und ihre rosigen Gesichter ließen daran auch keinen Zweifel aufkommen. Ingrid konnte sich kaum vorstellen, dass es eine von ihnen gewesen war, die in der Nacht die Klagelaute von sich gegeben hatte. Hier ist etwas faul!, meldete sich ihr Instinkt mit aller Vehemenz zu Wort.
Beim Hinausgehen fiel Schwester Theodora wohl Ingrids argwöhnischer Gesichtsausdruck auf, denn sie fügte hinzu, die Wöchnerinnen hätten immer wieder mit vorzeitigen Wehen zu kämpfen, da bei ihnen die Gefahr einer Frühgeburt bestehe. Das sei auch der Grund, weshalb sie die Zeit vor der Niederkunft liegend im Spital zubringen müssten.
Ingrid nickte verständig, obwohl die einleuchtenden Erklärungen ihre Zweifel nicht vertreiben konnten.
Den ganzen Tag strich sie in der kurzen gebetfreien Zeit – und wenn es ihr tatsächlich einmal gelang, Schwester Theodora zu entrinnen – um das Klostergebäude und lauschte mit angehaltenem Atem, ob von irgendwoher Schreie zu hören waren. Doch hinter den massiven Steinmauern ertönte kein Laut.
Als am späten Nachmittag ein Mann in grüner Jagdkleidung mit einer Holzkarre, auf der zwei erlegte Rehe lagen, durch die Klosterpforte kam und vor den Stallungen damit begann, die Tiere auszuweiden, beendete sie schließlich ihre Exkursionen. Sie hatte das unangenehme Gefühl, dass der Mann mit dem grünen Filzhut sie aus den Augenwinkeln beobachtete. Außerdem ekelte sie der Blutgeruch, der von den Stallgebäuden herüberwehte.
10
Montag, 1. August 1511
Am frühen Montagmorgen halfen Ursel und die Köchin Josef beim Hinuntertragen seiner Habseligkeiten. Die Huren schliefen alle noch, sie hatten sich in der Nacht zuvor von dem Frauenhausknecht gebührend verabschiedet. Dabei war reichlich Wein geflossen und auch die eine oder andere Träne. Auch die Hurenkönigin hatte in der vergangenen Nacht dem Wein gut zugesprochen und war, ebenso wie Josef, müde und verkatert. Dennoch hatte sie es sich nicht nehmen lassen, früh aus den Federn zu kriechen, um Josef zum Sachsenhäuser Forst zu begleiten, wo er heute seinen Dienst als Holzhacker antreten sollte. Außerdem hatte sie noch einen weiteren Grund für die Fahrt nach Sachsenhausen. Sie wollte nämlich auf dem Rückweg einen Abstecher zum Kloster des Sankt-Spiritus-Ordens machen, um nach Ingrid zu sehen.
Als die zusammengerollte Rosshaarmatratze und das Federbett auf der Ladefläche der Pferdekutsche vertäut waren, verabschiedete sich Josef von der Köchin und half der Zimmerin auf den Kutschbock, ehe er sich an ihrer Seite niederließ und die Zügel ergriff.
Die Fahrt durch die erwachende Stadt verlief schweigsam. Ursel, die von Ingrid seit Donnerstag nichts mehr gehört hatte, machte sich allmählich Sorgen um die Freundin. Und Josef war schlecht gelaunt. Ihm behagte es wenig, seine Stellung als Frauenhausknecht gegen die beschwerliche Tätigkeit eines Holzarbeiters eintauschen zu müssen.
Die Sonne war gerade über der östlichen Stadtmauer aufgegangen und tauchte die Gassen der Altstadt in goldenes Licht. Es versprach wieder ein schöner und womöglich auch heißer Tag zu werden. Geblendet kniff die Hurenkönigin die müden Augen gegen die Sonnenstrahlen zusammen. Erst als sie das Fahrtor passiert hatten und auf die steinerne Mainbrücke fuhren, hielt sie sich schützend die Hand an die Stirn, um das malerische Panorama auf der anderen Mainseite mit geschärftem Blick zu betrachten – so als könnten ihr die Gebäude ein Geheimnis preisgeben.
Das Gefährt fuhr die holprige Brückengasse entlang, vorbei an windschiefen, mit schwarzen Schindeln verkleideten Fachwerkhäuschen. Vereinzelt waren ärmlich gekleidete Leute zu sehen, Fischer und Gerber, die ihr Tagwerk begannen, Mägde, die Holz trugen oder Wasser schöpften. Ursel blickte sich immer wieder suchend um, in der vagen Hoffnung, Isolde unter den Passanten zu entdecken. Doch vergeblich.
Die Glocken der benachbarten Dreikönigskirche läuteten zur siebten Stunde.
»Verdammt«, schimpfte Josef, »jetzt komme ich auch noch zu spät! Zur siebten Stunde sollte ich nämlich schon da
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