Die Hurenkönigin (German Edition)
Euch, Hübscherin, Ihr habt ein gutes Herz, aber ich glaube, Ihr versteht nicht ganz, was ich meine.«
Ingrid erstarrte. »Was meint Ihr denn?«, fragte sie mit tonloser Stimme.
»Die lassen einen hier nicht mehr weg!«, stammelte die frühere Reiberin und schluchzte verzweifelt auf.
Die Lohnsetzerin war fassungslos. »Das kann doch nicht sein!«, stieß sie hervor. »Das ist doch kein Gefängnis hier!«
»Pssst, nicht so laut«, mahnte die junge Frau und umklammerte panisch Ingrids Hand. »Wenn die uns hier erwischen, droht uns beiden der Karzer. Einmal hatte ich schon das Vergnügen«, schnaubte sie bitter. »Und das nur, weil ich drüben bei der Gertrud war. – Das ist so ein enges schwarzes Loch im Keller, wo man noch nicht mal aufrecht stehen kann. Es war die Hölle, sage ich Euch … Und Ihr geht jetzt auch besser wieder«, sie blickte sich gehetzt um. »Ich möchte nämlich nicht noch mal da runter.«
Ingrid sträubten sich die Nackenhaare. »Erklärt mir bitte«, flüsterte sie atemlos. »Wie kommt Ihr darauf, dass die Nonnen einen hier nicht mehr weglassen?«
Die junge Frau lauschte angespannt in die Dunkelheit. »Wir waren ursprünglich zu dritt«, flüsterte sie. »Die Elsbeth, die Gertrud und ich. Als die Badestube geschlossen wurde, sind wir hierhergekommen, weil wir nicht wussten, wo wir sonst hinsollten. Wir wollten nur so lange bleiben, bis wir woanders wieder eine Stellung und eine Unterkunft gefunden hätten. Schon nach ein paar Tagen haben wir gemerkt, dass das hier nicht das Richtige für uns ist. Den ganzen Tag nur beten und dann noch Schwester Theodoras ständige Ermahnungen … Jedenfalls hatte die Elsbeth die Nase voll und hat klipp und klar gesagt, dass sie gehen will. Und dann haben sie sie weggebracht.« Die junge Frau schluchzte auf. »Wir haben sie nicht mehr gesehen und haben gedacht, dass sie weg ist. Doch als sie uns im Keller in diese Verschläge gesperrt haben, habe ich da unten aus einem entfernten Winkel immer wieder Hilferufe gehört – die sind mir durch Mark und Bein gegangen. Ich glaube, es waren Elsbeths Schreie.«
Ingrid blieb vor Entsetzen das Herz stehen. »Die Schreie, die ich nachts auf dem Weg zur Kapelle gehört habe, das waren keine Wöchnerinnen! Das müssen Elsbeths Schreie gewesen sein«, murmelte sie und glaubte fast, die verzweifelten Klagen erneut zu hören. »Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass sie da rauskommt, ehe sie da unten krepiert …« Sie war erregt aufgesprungen.
Just in diesem Moment war vom Flur her Schwester Theodoras Stimme zu vernehmen. »Was geht hier vor?«, hallte es durch die Tür, die gleich darauf aufgerissen wurde.
Grid stürzte auf die Nonne zu und schrie ihr ins Gesicht: »Ihr lasst jetzt auf der Stelle die Frau frei, die Ihr im Keller gefangen haltet!«
Die hagere Nonne fixierte Ingrid mit einem Blick, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ, und zischte der Lohnsetzerin zu: »Ihr werdet ihr schon bald Gesellschaft leisten!« Dann entfernte sie sich mit hektischen Schritten.
11
Dienstag, 2. August 1511
Am Dienstagmorgen traf Schwester Theodora zur elften Stunde im Frauenhaus ein, wo sie von der Gildemeisterin und den Huren schon erwartet wurde. Mehrere Bottiche mit heißem Wasser standen auf dem Tisch des Aufenthaltsraums bereit, und neben der Namensliste lagen die Schreibutensilien.
Nach einem knappen Gruß bereitete die Nonne alles für die Untersuchung vor, band sich Schürze und Mundschutz um und wandte sich an die Hurenkönigin: »Ich muss Euch auffordern, Euch frei zu machen und auf den Tisch zu legen. Da ich Euch das letzte Mal nicht untersuchen konnte, weil Ihr einfach davongelaufen seid, werdet Ihr heute den Anfang machen.«
Ursel blickte die Ordensschwester entrüstet an. »Ich bin nicht einfach davongelaufen, sondern habe dem Magistrat das Verschwinden unserer Gildeschwester Isolde gemeldet, die seit letztem Donnerstag vermisst wird«, sagte sie empört.
»Vielleicht hatte sie ja genug von der Liederlichkeit und wollte ein rechtschaffenes Leben führen«, bemerkte Schwester Theodora spitz. »Wie auch immer – kommt bitte her, damit ich Euch untersuchen kann.«
»Das kommt ja gar nicht in Frage, dass ich mich von Euch visitieren lasse!«, rief die Hurenkönigin aufgebracht. »Seit über zwölf Jahren gebe ich mich nicht mehr mit Freiern ab. Wieso also sollte ich kontrolliert werden?«
Schwester Theodoras blonde Wimpern flatterten nervös. »Weil Ihr weiterhin der Unzucht frönt!«,
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