Die Hurenkönigin und der Venusorden
Einen Moment lang wurde ihr schwarz vor Augen.
Meister Jerg, der bemerkte, dass die Gildemeisterin zu schwanken begann, hakte sie fürsorglich unter. »Ich glaube, es ist besser, wenn Ihr Euch hinsetzt, Zimmerin«, sagte er mit einem leichten Zittern in der Stimme und führte Ursel in den Schankraum.
»Ist es denn so arg?«, fragte Ursel heiser und ließ sich auf einen Stuhl sinken.
Nachdem auch der Henker Platz genommen hatte, atmete er noch einmal tief durch. Dann fasste er sich endlich ein Herz und sagte: »Ein Gerber hat vorhin den Frauenhausknecht im Main gefunden. Er trieb mit dem Gesicht nach unten im Morast der Uferböschung und ist wohl ertrunken.«
Die Hurenkönigin schrie laut auf und schlug die Hände vors Gesicht. »Ach Gott, wie schrecklich!«, stammelte sie. Ihr Antlitz war kreideblich geworden.
»Ihr trinkt jetzt am besten gleich mal einen Schnaps«, bemerkte der Henker besorgt, erhob sich und eilte zum Tresen.
Die Zimmerin war heillos in Tränen aufgelöst, als er mit dem Branntweinkrug und zwei Bechern an den Tisch zurückkehrte.
»Ich kann jetzt auch einen gebrauchen«, erklärte er mit belegter Stimme, füllte die Becher und stürzte den seinen in einem Zug hinunter. »Das ist mir nämlich auch nicht einerlei, das mit dem Franz … Wo er doch so ein feiner Kerl war!« Der Henker schüttelte den Kopf. »Da fragt man sich schon, warum er so was gemacht hat? Ein so junger, frohgemuter Bursche …«
Die Zimmerin blickte ihn bestürzt an. »Ihr meint, er ist ins Wasser gegangen?«
»Möglich …«, grummelte Meister Jerg. »Oder er ist besoffen in den Fluss gefallen. Hat ja auch gestunken wie ein ganzes Branntweinfass. Ich hab mir den nämlich angucken müssen, als mich die Büttel geholt haben.« Dann erklärte er: »Spuren von Gewalt waren allerdings keine an ihm zu sehen. Deswegen glaub ich auch nicht, dass er bei ’ner Prügelei ins Wasser gefallen ist oder dass ihn jemand in den Main gestoßen hat. Franz war doch ein wehrhafter Bursche, der lässt sich nicht einfach so über die Böschung schubsen, da hätte er sich schon ordentlich gewehrt.« Er sah die Hurenkönigin fragend an. »Habt Ihr vielleicht mitgekriegt, dass er in der Nacht noch weggegangen ist?«
»Das nicht«, presste die Hurenkönigin hervor. »Aber mir ist aufgefallen, dass er in letzter Zeit immer so niedergeschlagen war.« Ursel wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln. »Der arme Kerl. Ihn muss irgendetwas bedrückt haben …«, sagte sie mit rauer Stimme, »und zwar sehr. Gestern Abend war es besonders schlimm. Da hab ich ihn dabei ertappt, wie er sich schon nachmittags um fünf reichlich Schnaps hinter die Binde gekippt hat. Ich habe ihn gefragt, was mit ihm los ist, und da hat er nur gesagt, dass er Kummer hat. Er wollte aber nicht darüber sprechen. Ich habe ihn dann ins Bett geschickt, dass er seinen Rausch ausschläft. Bevor er gegangen ist, hat er gemeint, er würde es mir lieber ein anderes Mal erzählen, wenn er wieder nüchtern wäre …« Ursel raufte sich unversehens die Haare. »Und nun mache ich mir die schlimmsten Vorwürfe, dass ich es dabei hab bewenden lassen«, sagte sie verzweifelt. »Vielleicht würde er ja noch leben, wenn ich mich mehr um ihn gekümmert hätte.« Ursel versagte die Stimme, und sie begann zu schluchzen.
Meister Jerg, der Ursel sehr zugetan war, legte ihr tröstend den Arm um die Schultern. »Ihr müsst doch kein schlechtes Gewissen haben, Zimmerin. Ihr habt ihn gefragt, und wenn er nicht darüber reden wollte, ist es seine Sache.« Er hielt kurz inne, während sich eine tiefe Trauer über seine groben Gesichtszüge breitete. »Manche packen es halt nicht, mit anderen über ihre Sorgen zu sprechen. Die verkriechen sich lieber in sich selbst … und dann kommen sie aus ihrem Loch nicht mehr heraus. Da gibt es Leute, die lassen sich gar nichts anmerken. Die schaffen es sogar noch, ein fröhliches Gesicht aufzusetzen, obwohl es ihnen ganz dreckig geht. Und wenn die dann eines Tages Hand an sich legen, können es alle nicht fassen«, sagte er leise.
Die Hurenkönigin, die ahnte, dass Meister Jerg genau wusste, wovon er sprach, legte ihm mitfühlend die Hand auf den Arm. »So weit darf es niemals kommen!«, raunte sie beschwörend. »Das Leben ist grausam – aber zuweilen auch sehr schön …«
»Davon habe ich noch nichts gemerkt«, knurrte der Henker bitter. In diesem Augenblick hätte er nicht übel Lust gehabt, einfach in Ursels Arme zu sinken und den Kopf an ihren Busen zu
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