Die Hurenkönigin und der Venusorden
dich noch immer liebe und ohne dich nicht sein kann!«
Die Leidenschaft, die aus ihren Worten sprach, berührte Bernhard. »Ich liebe dich doch auch«, entgegnete er und schloss Ursel in die Arme.
Die Hurenkönigin küsste ihn zärtlich und flüsterte: »Willst du nicht heute Nacht bei mir bleiben?«
Bernhard zögerte und erwiderte verzagt: »Glaub mir, Ursel, nichts wäre mir lieber, als dass es zwischen uns wieder so wird wie früher. – Aber ich glaube, ich bin noch nicht so weit.«
Der Schmerz schnürte Ursel förmlich die Kehle zu. »Ist es … ist es wegen Irene?«, fragte sie mühsam.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Bernhard beklommen. »Ich bin mir ja noch nicht einmal sicher, was ich für sie empfinde. Zuweilen denke ich, ich sehe in ihr die Tochter, die ich mir früher so sehr gewünscht habe.«
Der Hurenkönigin entrang sich ein gequältes Stöhnen. Das erinnerte sie an ein dunkles Kapitel in ihrem Leben. Vor langer Zeit hatte sie ein Freier geschwängert, und in ihrer Verzweiflung hatte sie die Dienste einer zwielichtigen Hebamme in Anspruch genommen, die ihr einen Kräutertrunk verabreichte. Unter schweren Krämpfen und heftigen Blutungen verlor sie die Leibesfrucht, doch seitdem war Ursel unfruchtbar. In ihrem Gewerbe nicht unbedingt ein Nachteil, denn dadurch war sie sicher, nicht erneut schwanger zu werden. Doch als sie Jahre später Bernhard kennenlernte, bedauerte sie es zutiefst, dass sie mit dem Mann, den sie über alles liebte, keine Kinder haben konnte. Wie sehr hatte sie sich damals ein Kind von ihm gewünscht – und obgleich er nur selten darüber gesprochen hatte, ahnte sie doch, dass es ihm ähnlich erging. Das war der einzige Wermutstropfen, der ihr Glück getrübt hatte. Dennoch waren beide viele Jahre lang der Überzeugung gewesen, ihre überbordende Liebe könnte alles wettmachen.
Was mitnichten der Fall war, wie Ursel in diesem Moment schmerzhaft erkennen musste. Verletzt schwieg sie und hing ihren schwermütigen Gedanken nach.
Bernhard, der ebenfalls trübsinniger Stimmung war, streichelte Ursels Wange und verabschiedete sich.
»Ich denke, es ist wichtig, dass wir weiterhin zusammenhalten und uns nicht aus den Augen verlieren«, sagte er und umarmte Ursel noch einmal.
»Das sollten wir«, erwiderte die Hurenkönigin mit brüchiger Stimme und geleitete ihn zur Tür.
Kaum, dass er gegangen war, brach ihr ganzer Kummer aus ihr heraus. Sie warf sich aufs Bett, vergrub ihr Gesicht in den Kissen und weinte hemmungslos.
Nachdem ihre Tränen endlich versiegt waren und eine dumpfe Niedergeschlagenheit zurückgelassen hatten, erhob sich Ursel. Sie trat an den Tisch und schenkte sich Wein in den Becher, den sie in großen Zügen leerte. Gut, dass es nur Wein ist, dachte sie grimmig, denn der Himmelsarznei, das wusste sie genau, hätte sie derzeit nicht widerstehen können. Sie füllte sich noch einmal nach, trank aus und ging zu Bett, wo sie nach langem Grübeln schließlich einschlief.
TEIL 2 –
Die Königin der Schatten
»Die Liebe ist Wahnwitz,
indem der Geist durchs Leere schweift und
die kurzen Freuden des Lebens mit
zahllosen Schmerzen mischt.«
Bernhard von Gordon,
»Lilium medicinae«, Neapel 1480
8
Freitag, 30 . März 1512
Ein lautes Poltern riss Ursel aus dem Schlaf. Benommen richtete sie sich im Bett auf und schleppte sich zum Fenster. Unten vor der Haustür stand der Henker und betätigte den Türklopfer. Sie öffnete einen Fensterflügel und rief ihm zu: »Ich komme gleich runter!«
Müde blinzelte sie in den wolkenverhangenen Himmel. Es musste noch früher Morgen sein.
Während sie sich ihr wollenes Schultertuch umlegte, den Schlüsselbund vom Haken nahm und aus der Tür trat, dachte sie unmutig, dass es eigentlich Aufgabe des Frauenhausknechts war, den Besucher einzulassen. Aber Franz lag wahrscheinlich noch im Bett und schlief seinen Rausch aus.
Im Flur und im Treppenhaus war kein Laut zu vernehmen. Die liegen alle noch in den Federn, vermutete die Hurenkönigin grimmig, und ich darf den Laufburschen spielen. Sie schloss die Tür auf und ließ den Henker eintreten.
»Morgen, Meister Jerg. Was gibt es denn schon so früh?«, fragte sie missgelaunt.
Der Henker musterte sie mit düsterer Miene. »Ich habe schlechte Nachrichten«, erklärte er.
»Was ist denn passiert?«, fragte die Hurenkönigin. Unversehens musste sie daran denken, wie ihr der Henker im vergangenen Sommer die Hiobsbotschaft überbracht hatte, dass die Leiche von Rosi gefunden worden war.
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