Die Hurenkönigin von Alezcana - ROTE LATERNE - Band 3 (German Edition)
der roten Erde vor dem Friedhof.
Und drüben vor der Kirche machte der Pfarrer seinen Morgenspaziergang und hielt sich das Brevier vors Gesicht. Don Felipe und Gott, gab es da einen Unterschied? Wessen Wort galt mehr? Von Gott bekam der Pfarrer nichts, von Don Felipe jedes Jahr ein Schwein und drei Fässer Wein. Das zählte, und darum schwieg er.
Die Dirnen beteten, als der alte Totengräber und Don Franco die hässliche Kiste in eine Nische schoben, die nicht einmal ordentlich ausgeräumt war. Dann mauerte man sie hastig zu.
Don Franco ließ das Glöckchen wieder bimmeln, und der Zug der Reiter verschwand von den Hügeln.
Da musste Elena weinen. Sie weinte selten, aber dies waren echte, ehrliche Tränen. Elena wusste gar nicht, warum sie weinte. "Adios, altes Mädchen!", schluchzte sie und brach einen Oleanderzweig ab. Sie steckte ihn in eine Fuge mit frischem Mörtel und machte das Kreuzzeichen darüber.
"Elena!", rief der hagere Franco, als er die Tür des Glockenturmes verschloss. "Kommst du noch mit zu mir? Ich gebe einen aus!"
"Ist heute Fiesta?", fragte Elena.
"Nein", antwortete er und seine großen Augen wirkten traurig. "Heute haben wir die Leona begraben. So etwas wie sie wird es nie wieder geben!"
"Ich denke, du hast sie nicht gemocht?", fragte die Frau.
"Ich habe sie geliebt", murmelte Franco. "Ich konnte sie nie bezahlen, weißt du? Jede konnte ich bezahlen, aber eine Frau, die man liebt und die man fürchtet, die muss man heiraten und nicht bezahlen. Aber konnte ich eine Puta heiraten?"
Er ging mit hängenden Schultern neben Elena her. Es war alles gesagt. In der Taverna kamen später ein paar Leute zusammen. Auch ein paar Gauchos waren unter ihnen. Die Stimmung war heute anders als sonst. Sie war geprägt von einer sonderbaren Wehmut und wurde zusätzlich noch durch die traurigen Lieder der Gauchos gedämpft. Schon jetzt war die Leona hier eine Legende, und ihr Name würde in diesem Dorf fortleben über die Zeit hinaus. In dieser Nacht brannte ihr Haus bis auf die Grundmauern nieder, niemand wusste, wer es angesteckt hatte. Für die meisten endete diese Nacht in einem Besäufnis. Auch Elena und Don Franco betranken sich. Später versuchten sie in ihrer Verzweiflung miteinander zu schlafen. Es gelang ihnen nicht. Sie konnten nur nebeneinander liegen, und in der Morgendämmerung schlich Don Franco verschämt und mit schwerem Kopf aus dem Zimmer.
Einige Zeit später kam ein Brief von Evita. Er war an die Adresse der Taverna gerichtet, es stand der Name der toten Pilar darauf. Elena öffnete den Brief und las Evitas Bitte um ein Lebenszeichen.
"Die Kleine ist in Toplizcan," sagte Elena zu Franco. "Ich schreibe ihr!"
"Wirst du ihr die Wahrheit sagen?"
"Das kann.ich nicht", sagte die rothaarige Dirne. "Ich werde etwas erfinden und dafür sorgen, dass Evita nicht zurückkommt. Sie ist zu jung für die Wahrheit. Sie würde vielleicht das Gleiche tun wie ihre Mutter und ebenso Enden. Das darf nicht sein!"
"Nein", sagte Franco leise.
*
Maria Ramirez war klein, mager und wirkte mit ihren vierzig Jahren wie ein altes Weib. Das Schönste an ihr waren die großen, braunen Augen, die mütterlich und warm blicken konnten.
"Nimm sie auf!", hatte Rodrigo zu seiner Frau gesagt. "Sie heißt Evita und ist die Tochter einer Puta. Ich habe sie am Straßenrand aufgelesen. Wenn wir sie nicht behalten, geht sie zu den Huren und krepiert irgendwann. Stell dir vor, es wäre unsere Tochter!"
Evita wurde in den Arm genommen. Es gab keine Fragen, und Evita musste keine Antwort geben.
Sie war nun ein Kind unter Kindern. Es gab die sechzehnjährige Franca, den elf jährigen Pedro, die drei Jahre alte Juana, und die Jüngste, Antonia, strampelte noch in der Wiege, als Evita in die Familie Ramirez kam. Eine Woche später mussten sie die kleine Antonia auf den Friedhof von Toplizcan tragen. Rodrigo trug die weiße Pappschachtel, auf die man ein schwarzes Kreuz gemalt hatte. Wie damals im Auto, so fuhr Rodrigo sich auch jetzt mit dem Jackenärmel über die Augen.
Dann zog et seine Maria an sich, die mit ausdruckslosem Gesicht auf die kleine Nische starrte, in die man die weiße Pappschachtel geschoben hatte.
"Jetzt ist Antonia ein Engel", sagte der Mann, und er sagte es, wie man ein Kind tröstet." Sie war so krank, Maria!"
Die Frau sprach tränenlos und leise: "Es ist gut so, Rodrigo. Lass uns gehen! Sie braucht uns nicht mehr!"
Ein paar Tage war es sehr still in dem kleinen Haus. Doch dann ging das Leben
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