Die Hurenkönigin von Alezcana - ROTE LATERNE - Band 3 (German Edition)
überhaupt keine, und du wirst nie eine werden!"
In Evita erwachte plötzlich Bewunderung für Rodrigo. Vielleicht war es sogar mehr. Jedenfalls war es ein Gefühl, das sie nicht beschreiben konnte. Es verband sich in Evita mit dem Wunsch, ihn nie mehr zu verlieren. Wie alt er wohl sein mochte? Evita warf einen scheuen Blick von der Seite in das bärtige Gesicht. Ein Bart, so sagte sie sich, machte älter. Ob er schon so alt wie Don Felipe war? In Evitas Augen war er jung. Und so schön war er, dass sie es gar nicht sagen konnte. Sie begann in diesen Minuten und aus seinen wenigen Worten heraus ihn zu verehren, wie sie vielleicht nach ihm nie wieder einen Mann verehren würde. Das fühlte sie, und das Gefühl tobte in ihr mit einer solchen Wucht, dass sie ihm keinen Ausdruck geben konnte.
"Bist du verheiratet?", fragte sie schüchtern.
Bange Minuten des Schweigens folgten.
"Ja", sagte er in das Motorengeräusch hinein. Doch die Welt brach nicht zusammen, Evita empfand keinen Schmerz.
"Ist deine Frau schön?", fragte das Mädchen.
"Für mich ist Maria schön", antwortete Rodrigo. "Für andere mag sie eine alte, hässliche Frau sein. Sie hat mir acht Kinder geboren. Vier sind gestorben, als sie noch klein waren. Ich habe eine Tochter. Sie ist so alt wie du."
"Ich bin fünfzehn!", sagte Evita leise.
"Gut", sagte er und registrierte, dass sie vorhin gelogen hatte."Dann ist sie eben ein Jahr älter. Aber käme sie und würde mir sagen, sie wollte Nutte werden, würde ich sie im Fluss ersäufen, ich schwöre es! Nicht weil Nutten schlecht sind, sondern weil sie so elend zugrunde gehen. Ich komme aus Mexiko-Stadt und ich habe viele dort sterben sehen. So darfst du nicht enden, Evita!"
Nun sah das Mädchen, wie sein schmutziger Ärmel über seine Augen fuhr. Einmal nur, und ganz kurz. Er war ein derber Kerl, konnte ordinär reden und war doch so voller Güte. Vielleicht war er ein wenig wie Pilar.
"Ich glaube dir", sagte Evita. "Ich mache alles, was du willst, und ich gehe mit dir bis ans Ende der Welt!"
*
Einsam war Pilar Soltano gestorben. Über ihren Tod erfuhr man nichts, Es hieß, sie habe sich im Gefängnis erhängt. Der Wärter jedenfalls schwor dem Untersuchungsrichter, er habe die Gefangene am Sonntagmorgen stocksteif an einem Strick hängend aufgefunden.
"Man hat sie einfach abgeschnitten", sagte Elena schaudernd zu der fetten Mestizin. Noch ein paar andere Dirnen standen um den billigen Sarg herum. Es war eine einfache Kiste aus ungebeiztem Holz. Auf dem Deckel lag ein Kreuz aus Blech und ein paar Oleanderblüten. Der Tag war heiß. Auf dem Friedhof roch es nach Z*pressen und ein bisschen süßlich. Die Gräber lagen über der Erde, wie Häuser, in deren Wände Nischen eingelassen waren. Nischen, die man später mit einer Steinplatte verschloss. Oben auf dem Hügel erschienen ein paar Reiter. Sie zeichneten sich schwarz vom hellen Himmel ab und standen reglos wie Statuen. Leise bimmelte ein Glöckchen. Es klang schrill, klagend und erbärmlich in der Morgen Stille. Die alten Frauen blieben draußen vor dem Friedhof stehen. Nur die Neugierde trieb sie her, denn einer Puta, einer Mörderin obendrein, brauchte man nicht die letzte Ehre zu erweisen. Auch der Pfarrer kam nicht. Er verweigerte der unglückseligen Pilar die Aussegnung und sagte öffentlich, Pilar Soltano sei aus der Hölle gekommen und wieder dorthin zurückgekehrt. Und ihre Brut, womit er Evita meinte, habe der Leibhaftige selbst in den Schlund der Hölle geholt, wofür er sich verbürge.
"Er lügt, wenn er die falschen Zähne nur auseinandermacht", sagte Elena. "Vielleicht war er dabei, als sie die Leona aufgeknüpft haben! "
"Sie doch still, der Patron kommt!", zischte die gefärbte Antonia.
Die Dirnen waren aus einem bestimmten Grund gekommen, denn als Don Felipe nun durchs Dorf ritt, standen sie da und präsentierten sich. Die fette Mestizin ließ eine Brust aus der Bluse hängen, worauf hin sie von einem Gaucho einen Fußtritt bekam.
Fluchend drehte sie sich um. "Mörder!", schrie sie. "Kinderschänder! Elender Sadist!"
Da kehrte der Patron um. Sein feuriges Pferd tänzelte vor der Dicken, die am Boden kauerte.
"Wen hast du gemeint, du Dreckstück?", fragte Don Felipe.
"Den Gaucho", stammelte sie.
"Fernando, sie hat dich gemeint! Zeig ihr, was der Kinderschänder kann! Und wenn du ein wahrer Sadist bist, dann lass es die Ratte fühlen!"
"Gnade!", winselte die dicke Dirne nun und wälzte sich unter Peitschenhieben auf
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