Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
Freunden gesehen hatte. Hoyt hielt sein Stück Papier hoch, auf das deutlich eine 1 gekritzelt war.
»Na gut«, sagte Silenus. »Fangen Sie an!«
»Jetzt?« fragte der Priester.
»Warum nicht?« entgegnete der Dichter. Die einzigen Anzeichen dafür, daß Silenus schon zwei Flaschen Wein getrunken hatte, waren eine etwas dunklere Färbung seiner ohnehin schon roten Wangen und eine etwas dämonischere Neigung der buschigen Brauen. »Wir haben noch ein paar Stunden bis zur Landung«, sagte er, »und ich für meinen Teil gedenke, die Nachwirkungen der Gefrierfuge erst auszuschlafen, wenn wir sicher unten sind und uns unter den schlichten Eingeborenen eingelebt haben.«
»Unser Freund hat recht«, sagte Sol Weintraub leise. »Wenn die Geschichten erzählt werden sollen, dann ist die Stunde nach dem Essen tagtäglich eine zivilisierte Zeit, sie zu erzählen.«
Pater Hoyt seufzte. »Einen Augenblick, bitte«, sagte er und verließ die Speiseplattform.
Als mehrere Minuten verstrichen waren, sagte Brawne Lamia: »Glaubt ihr, er hat den Mut verloren?«
»Nein«, sagte Lenar Hoyt und trat aus der Dunkelheit der Holztreppe, die den Hauptzugang bildete. »Ich habe das hier gebraucht.« Er ließ zwei kleine, fleckige Notizbücher auf den Tisch fallen, während er sich setzte.
»Es gilt nicht, Geschichten aus einem Buch vorzulesen«, sagte Silenus. »Es sollen unsere eigenen Geschichten sein, Magus!«
»Verdammt, seien Sie still!« schrie Hoyt. Er strich mit einer Hand übers Gesicht und berührte die Brust. Zum zweiten Mal in dieser Nacht wurde dem Konsul klar, daß er einen ernstlich kranken Mann vor sich sah.
»Tut mir leid«, sagte Pater Hoyt. »Aber wenn ich meine ... meine Geschichte erzählen soll, muß ich auch die Geschichte von jemand anderem erzählen. Diese Tagebücher gehören dem Mann, dessentwegen ich nach Hyperion gekommen war ... und warum ich heute zurückkehre.« Er holte tief Luft.
Der Konsul berührte die Tagebücher. Sie waren schmutzig und angekohlt, als hätten sie ein Feuer überstanden. »Ihr Freund hat einen altmodischen Geschmack«, sagte er, »wenn er ein handgeschriebenes Tagebuch führt.«
»Ja«, sagte Hoyt. »Wenn Sie bereit sind, werde ich anfangen.«
Die Gruppe am Tisch nickte. Unter der Speiseplattform trieb ein Kilometer Baumschiff mit dem starken Puls von etwas Lebendigem durch die kalte Nacht. Sol Weintraub hob das schlafende Kind aus dem Tragegurt und legte es behutsam auf eine gepolsterte Matte auf dem Boden neben seinem Stuhl. Er holte sein Komlog heraus, stellte es neben die Matte und programmierte den Diskey auf weißes Rauschen. Das eine Woche alte Baby lag auf dem Bauch und schlief.
Der Konsul lehnte sich weit zurück und erblickte den blaugrünen Stern Hyperion. Dieser schien beim Zusehen größer zu werden. Het Masteen zog die Kapuze nach vorne, bis nur Schatten sein Gesicht zeichneten. Sol Weintraub zündete eine Pfeife an. Andere ließen sich Kaffee nachschenken und lehnten sich auf den Stühlen zurück.
Martin Silenus schien der aufmerksamste und erwartungsvollste Zuhörer zu sein, als er sich nach vorne beugte und flüsterte:
»He seyde: ›Syn I shal bigynne thy game,
What, welcome be the cut, a Goddes name!
Now I let us ryde, and herkneth what I seye.‹
And with that word we ryden forth owe weyre;
And he bigan with right a myrie cheere
His tale anon, und seyde as ye may heere.«
»Er sprach: ›So soll denn nun das Spiel begonnen seyn,
Der Göttin Namen wollen wir es weihn!
Laßt reyten uns, und höret mit Bedacht!‹
Worauf wir uns dann schließlich aufgemacht;
Mit lautem Jubel draufhin er begann
Die Mär zu schreyn, die man nun hören kann.«
Die Geschichte des Priesters
»Der Mann, der zu Gott flehte«
»Manchmal trennt nur eine dünne Linie orthodoxen Glauben von der Abtrünnigkeit«, sagte Pater Lenar Hoyt.
So begann die Geschichte des Priesters. Als der Konsul sie später in sein Komlog diktierte, erinnerte er sich ihrer als nahtloses Ganzes, ohne Pausen, die heisere Stimme, falsche Anfänge und die kleinen Ausschmückungen, die die zeitlosen Unzulänglichkeiten der menschlichen Sprache sind.
Lenar Hoyt war ein junger Priester gewesen, auf der katholischen Welt Pacem geboren, aufgewachsen und erst vor kurzem zum Priester geweiht worden, als er seine erste Berufung auf einen anderen Planeten erhielt: Man befahl ihm, den geachteten Jesuitenpater Paul Duré in sein stilles Exil auf der Kolonialwelt Hyperion zu begleiten.
In einer
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