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Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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der Schatten eines riesigen, rochenähnlichen Meereslebewesens mit dem Luftschiff Schritt. Vor einem Augenblick verharrte ein Vogel oder ein Insekt, groß und bunt wie ein Kolibri, aber mit hauchzarten Schwingen von einem Meter Spannweite, fünf Meter vor mir, um mich einer Begutachtung zu unterziehen, ehe er mit angelegten Flügeln zum Meer hinabtauchte.
    Edouard, heute abend fühle ich mich sehr einsam. Es würde mir helfen, wenn ich wüßte, daß Du noch am Leben bist, noch im Garten arbeitest und abends in Deinem Arbeitszimmer schreibst. Ich habe geglaubt, meine Reise würde meinen alten Glauben an St. Teilhards Konzept des Gottes erneuern, in dem der Christus der Evolution, das Persönliche und das Universelle, das En Haut und das En Avant vereint sind, aber eine solche Erneuerung zeichnet sich nicht ab.
    Es wird dunkel. Ich werde alt. Ich verspüre etwas ... noch keine Reue ... ob meiner Sünde, daß ich die Ergebnisse der Ausgrabungen auf Armaghast gefälscht habe. Aber, Edouard, Eure Exzellenz, wenn die Kunstgegenstände dort auf das Vorhandensein einer christlich orientierten Kultur hingedeutet hätten – fast sechshundert Lichtjahre von der Alten Erde entfernt und fast dreitausend Jahre bevor der Mensch die Oberfläche seines Heimatplaneten verlassen hat ...
    War es eine so gravierende Sünde, derart vieldeutige Daten in einer Weise zu interpretieren, die das Wiedererstarken des Christentums noch zu unseren Lebzeiten bewirkt haben könnte?
    Ja, das war es. Aber nicht, so glaube ich, wegen der Sünde, die Daten zu verfälschen, sondern wegen der schwerwiegenderen Sünde zu glauben, daß das Christentum gerettet werden könnte. Die Kirche stirbt, Edouard. Und nicht allein unser geliebter Zweig des Heiligen Baums, sondern sämtliche Auswüchse, Triebe und Wurzeln. Der gesamte Leib des Christentums stirbt so gewißlich wie dieser arme, verbrauchte Leib von mir stirbt, Edouard. Du und ich, wir haben das auf Armaghast gewußt, wo die blutige Sonne nur Staub und Tod beschienen hat. Wir wußten es in diesem kühlen, grünen Sommer im Seminar, als wir unsere ersten Gelübde abgelegt hatten. Wir wußten es als Knaben auf den ruhigen Spielplätzen von Villefranche-sur-Saône. Wir wissen es jetzt.
    Das Licht ist erloschen; ich muß im schwachen Schein des Salonfensters ein Deck höher schreiben. Die Sterne bilden seltsame Konstellationen. Das Mittelmeer erglüht des Nachts in einer grünlichen, ungesunden Phosphoreszenz. Im Südosten zeichnet sich eine dunkle Masse am Horizont ab. Es könnte ein Sturm oder die nächste Insel der Kette sein, der dritte der ›neun Schwänze‹ (In welcher Mythologie kommt eine neunschwänzige Katze vor? Ich kenne keine.)
    Um des Vogels willen, den ich vorhin gesehen habe – wenn es denn ein Vogel war –, bete ich, daß eine Insel vor uns liegt, kein Sturm.
     
    Tag 28:
    Ich bin seit acht Tagen in Port Romance und habe schon drei Tote gesehen.
    Der erste war ein am Strand angespülter Leichnam, eine aufgedunsene, weiße Parodie eines Menschen, der an meinem ersten Abend in der Stadt in den Uferschlamm hinter dem Ankerturm getrieben wurde. Kinder haben Steine danach geworfen.
    Beim zweiten habe ich gesehen, wie er aus den ausgebrannten Trümmern eines Methaneinheiten-Geschäfts in der ärmeren Region der Stadt in der Nähe meines Hotels gezogen wurde. Sein Körper war zur Unkenntlichkeit verkohlt und infolge der Hitze zusammengeschrumpelt, Arme und Beine straff zu der Preisboxerhaltung zusammengezogen, die Opfern von Feuer seit urdenklichen Zeiten eigen ist. Ich hatte den ganzen Tag gefastet und muß zu meiner Schmach gestehen, daß mir das Wasser im Mund zusammenzulaufen begann, als ich das volle Bratfettaroma verbrannten Fleisches roch.
    Der dritte Mann wurde keine drei Meter von mir entfernt ermordet. Ich war gerade aus dem Hotel auf den Irrgarten lehmverspritzter Planken getreten, die in dieser erbärmlichen Stadt als Gehwege dienen, als Schüsse zu hören waren und ein Mann mehrere Schritte von mir entfernt emporschnellte, als wäre er mit dem Fuß ausgeglitten, mit verwirrtem Gesichtsausdruck zu mir herumwirbelte und seitlich in Schlamm und Abwasser kippte.
    Er hatte drei Schüsse aus einer Art Projektilwaffe abbekommen. Zwei Kugeln waren ihm in die Brust gedrungen, die dritte dicht unterhalb des linken Auges. Unfaßbar, aber er atmete noch, als ich bei ihm war.
    Ohne nachzudenken holte ich die Stola aus meiner Tragetasche, suchte nach der Weihwasserphiole, die ich schon so lange

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