Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion

Titel: Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
hinter uns gelassen haben. Der Dschungel drängt mittlerweile wie eine solide Wand an die Ufer, und wo der Fluß an manchen Stellen nur dreißig bis vierzig Meter breit ist, bildet er einen fast dichten Überhang. Das Licht selbst ist gelb, voll wie flüssige Butter, da es von Laub und Farnen acht Meter über der braunen Oberfläche des Kans gefiltert wird. Ich sitze auf dem rostigen Blechdach der mittleren Passagierbarke und bemühe mich, einen ersten Blick auf einen Teslabaum zu erhaschen. Der alte Kady, der in der Nähe sitzt, hält mit seiner Schnitzerei inne, spuckt durch eine Zahnlücke über die Seite und lacht mir zu. »So weit unten sind keine Flammenbäume«, sagt er. »Wenn dem so wäre, würde der Wald mit tödlicher Sicherheit nicht so aussehen. Sie müssen zum Pinion hinaufgelangen, bevor Sie einen Tesla sehen. Wir haben den Regenwald noch nicht hinter uns, Padre.«
    Es regnet jeden Nachmittag. Eigentlich ist Regen ein zu zahmer Ausdruck für die Sintflut, die jeden Tag über uns hereinbricht, das Ufer verhüllt, mit ohrenbetäubendem Lärm auf die Blechdächer der Barke prasselt und unsere Kriechfahrt stromaufwärts verlangsamt, bis es scheint, als würden wir stehen. Jeden Nachmittag ist es, als würde der Fluß zu einer vertikalen Sturzflut werden, einem Wasserfall, den das Schiff erklimmen muß, wenn wir vorankommen wollen.
    Die Girandole ist ein uralter Schleppkahn mit flachem Boden und fünf Barken, die ringsum vertäut sind wie zerlumpte Kinder, die am Rockzipfel ihrer erschöpften Mutter hängen. Drei der zweistöckigen Barken transportieren Ballen von Waren, die in den wenigen Plantagen und Siedlungen entlang des Flusses getauscht oder verkauft werden sollen. Die beiden anderen bieten ein Simulacrum von Unterkünften für die Eingeborenen, die flußaufwärts reisen, obschon ich vermute, daß einige Passagiere auf den Barken permanent wohnen. Meine Koje hat eine fleckige Matratze auf dem Boden und eidechsenähnliche Insekten an den Wänden.
    Nach den Regenfällen versammeln sich alle auf den Decks und sehen zu, wie die Abendnebel aus dem abkühlenden Fluß emporsteigen. Die Luft ist sehr heiß und den größten Teil des Tages mit Feuchtigkeit übersättigt. Der alte Kady hat mir erzählt, daß ich zu spät gekommen sei, um den Aufstieg durch den Regen und die Flammenwälder noch zu schaffen, bevor die Teslabäume aktiv werden. Man wird sehen.
    Heute steigt der Nebel auf wie die Seelen aller Toten, die unter der dunklen Oberfläche des Flusses schlafen.
    Die letzten zerfetzten Überreste der nachmittäglichen Wolkendecke verdunsten durch die Baumwipfel, die Farbe kehrt in die Welt zurück. Ich sehe zu, wie der dichte Wald seine Färbung von Chromgelb zu einem durchscheinenden Safran wandelt, und dann allmählich über Ocker zu Umbra und Düsternis verblaßt. An Bord der Girandole zündet der alte Kady die Laternen und Kerzenhalter an, die vom durchhängenden zweiten Deck hängen, und wie um sich nicht ausstechen zu lassen, leuchtet darauf auch der Dschungel mit der schwachen Phosphoreszenz des Verfalls, während Glühvögel und bunte Sommerfäden in den dunkleren, höheren Regionen zu sehen sind, wo sie von Ast zu Ast schweben.
    Hyperions kleiner Mond ist heute nacht nicht zu sehen, aber diese Welt bewegt sich durch mehr Trümmer als bei einem Planeten so dicht an seiner Sonne üblich ist, daher wird der Nachthimmel von gelegentlichen Meteorschauern erhellt. Heute ist der Himmel besonders fruchtbar, und wenn wir breite Abschnitte des Flußlaufs passieren, können wir ein Netzwerk gleißender Meteorbahnen sehen, das die Sterne zusammenwebt. Nach einer Weile brennen sich diese Bilder in die Netzhaut ein, und ich schaue zum Fluß hinunter und erkenne dort nur dasselbe optische Echo im dunklen Wasser.
    Am östlichen Horizont ist ein helles Leuchten zu erkennen, und der alte Kady sagt mir, daß dieses von den Orbitalspiegeln stammt, die einige der größeren Plantagen mit Licht versorgen.
    Es ist zu warm, in meine Kabine zurückzukehren. Ich breite meine dünne Matratze auf dem Dach meiner Barke aus und verfolge die himmlische Lichterschau, während Gruppen von Eingeborenenfamilien wehmütige Lieder in einem Dialekt singen, den ich noch nicht einmal zu lernen versucht habe. Ich denke an die Bikura, die immer noch weit von hier entfernt sind, und eine seltsame Ängstlichkeit überkommt mich.
    Irgendwo im Wald schreit ein Tier mit der Stimme einer furchtsamen Frau.
     
    Tag 60:
    Ankunft Perecobo

Weitere Kostenlose Bücher