Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
Kolonisten auf Maui-Covenant verfügten noch über einige funktionierende, uralte Gleiter, aber in gegenseitigem Einverständnis sollte es keine Flüge geben. Abgesehen von den Schlafsälen, dem Strand und dem Duty Free Shop gab es auf der Insel wenig, das uns Schiffsleute interessierte. Eines Tages, wenn die letzten Komponenten mit der Los Angeles ins System gebracht worden waren und sie den Farcaster in Betrieb genommen hatten, würden die Beamten der Hegemonie aus Insel 241 ein Zentrum für Handel und Tourismus machen. Bis dahin war sie ein primitiver Ort mit einem Beibootlandeplatz, gerade fertiggestellten Bauwerken aus dem hiesigen weißen Stein und ein paar gelangweilten Angestellten. Mike trug uns beide für eine Rucksacktour auf den steilsten und unzugänglichsten Teil der Insel ein.
»Ich will nicht mit dem Rucksack wandern, um Himmels willen«, sagte ich. »Lieber würde ich auf der L. A. bleiben und mir Stimsims reinziehen.«
»Halt die Klappe und komm mit!« sagte Mike, und ich hielt die Klappe und folgte ihm, ganz wie ein jüngeres und daher nicht so weises Mitglied des Pantheon. Zwei Stunden verbissenes Wandern brachten uns durch Gestrüpp mit scharfen Zweigen zu einem Lavasims mehrere hundert Meter über der tosenden Brandung. Wir befanden uns in Äquatornähe auf einer größtenteils tropischen Welt, aber auf diesem ungeschützten Sims heulte der Wind, und ich klapperte mit den Zähnen. Der Sonnenuntergang war eine rote Schliere zwischen dunklen Kumuluswolken im Westen, und ich spürte nicht den geringsten Wunsch, im Freien zu sein, wenn die Nacht hereingebrochen war.
»Komm schon!« sagte ich. »Verschwinden wir aus dem Wind und machen wir ein Feuer. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie wir auf diesem harten Fels ein Zelt aufbauen wollen.«
Mike setzte sich und zündete einen Cannabisstengel an. »Sieh in deinen Rucksack, Junge.«
Ich zögerte. Seine Stimme war gleichgültig gewesen, aber es war die verkrampfte Gleichgültigkeit eines Witzbolds, kurz bevor der Eimer voll Wasser herunterfällt. Ich bückte mich und kramte in dem Nylonsack. Er war leer, abgesehen von alten Schaumstoffverpackungen, die ihn ausfüllten. Und einem Harlekinkostüm mit Maske und Glöckchen an den Schuhspitzen.
»Bist du ... ist das ... hast du den Verstand verloren?« stotterte ich. Es wurde jetzt zusehends dunkler. Das Gewitter zog vielleicht südlich an uns vorbei, vielleicht auch nicht. Die Brandung brüllte unten wie eine hungrige Bestie. Wenn ich gewußt hätte, wie ich in der Dunkelheit zum Handelsposten zurückfinden sollte, wäre ich vielleicht versucht gewesen, Mike Oshos Gebeine als Fischfutter zurückzulassen.
»Und jetzt sieh her, was in meinem Rucksack ist!« sagte er. Mike warf ein paar Schaumstoffwürfel heraus, dann etwas Schmuck, wie er auf Renaissance Vector von Hand gefertigt wurde, einen Kompaß, einen Laserschreiber, den die Schiffspolizei als Geheimwaffe einstufen konnte, oder auch nicht, noch ein Harlekinkostüm – dieses für seine rundlichere Gestalt – und eine Schwebematte.
»Herrgott, Mike«, sagte ich, während ich mit der Hand über das exquisite Muster des alten Teppichs strich, »das kann nicht legal sein.«
»Mir sind da hinten keine Zollbeamten aufgefallen«, erwiderte Mike grinsend. »Und ich bezweifle stark, daß die Einheimischen irgendwelche Flugkontrolleinrichtungen haben.«
»Ja, aber ...« Ich verstummte und rollte den Rest der Matte aus. Sie war etwas über einen Meter breit und zwei lang. Der Stoff war vom Alter ausgebleicht, aber die Schwebefasern waren noch so rot wie frisches Kupfer. »Woher hast du die?« fragte ich. »Funktioniert sie noch?«
»Von Garden«, sagte Mike und stopfte mein Kostüm und seine andere Ausrüstung in den Rucksack. »Ja, sie funktioniert.«
Es war über ein Jahrhundert her, seit der alte Wladimir Scholochow, Emigrant der Alten Erde, meisterhafter Schmetterlingsjäger und EM-Systemingenieur, die erste Schwebematte von Hand für seine wunderschöne Nichte auf der Neuen Erde angefertigt hatte. Der Legende zufolge hatte die Nichte das Geschenk verschmäht, aber die Spielzeuge waren fast grotesk populär geworden – mehr bei reichen Erwachsenen als bei Kindern –, bis sie auf den meisten Welten der Hegemonie verboten wurden. Gefährlich im Umgang, eine Verschwendung abgeschirmter Monofasern, im kontrollierten Luftraum fast unmöglich zu handhaben, und daher waren die Schwebematten eine Kuriosität für Gutenachtgeschichten, Museen und einige
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