Die Hyperion-Gesänge 01 - Hyperion
sehen. »Moment mal! Moment mal!« sagte Mike mit kräftigerer Stimme, als hätte er etwas Wichtiges vergessen. »Nur einen Moment«, sagte er und starb.
Starb. Einen richtigen Tod, klinisch tot. Er machte den Mund obszön auf, verdrehte die Augen, bis nur noch das Weiße zu sehen war, und etwas später quoll kein Blut mehr aus der Wunde.
Ein paar Sekunden verfluchte ich den Himmel. Ich konnte sehen, wie die L. A. über das verblassende Sternenzelt zog, und ich wußte, ich konnte Mike retten, wenn ich ihn binnen weniger Minuten dorthin brachte. Die Menge wich zurück, während ich tobte und zu den Sternen fluchte.
Schließlich wandte ich mich an Bertol. »Du«, sagte ich.
Der junge Mann war am anderen Ende des Parks stehengeblieben. Sein Gesicht war aschfahl. Er sah mich wortlos an.
»Du«, sagte ich noch einmal. Ich hob den Laserschreiber auf, der weggerollt war, schaltete auf Maximum und ging auf Bertol zu, der wartend zwischen seinen Freunden stand.
Später bekam ich durch den Nebel von Schreien und verbranntem Fleisch vage mit, wie Siris Gleiter auf dem überfüllten Platz landete, wie Staub ringsum aufwirbelte und wie ihre Stimme mir befahl, zu ihr zu kommen. Wir flogen der Menge und dem Wahnsinn davon. Der kühle Wind wehte mir das schweißnasse Haar vom Hals.
»Wir fliegen nach Fevarone«, sagte Siri. »Bertol war betrunken. Die Separatisten sind eine kleine, gewalttätige Gruppe. Es wird keine Gegenmaßnahmen geben. Du wirst bei mir bleiben, bis der Rat die Ermittlungen beginnt.«
»Nein«, sagte ich. »Dort. Lande dort.« Ich deutete auf eine Landzunge nicht weit von der Stadt entfernt.
Siri landete, obwohl sie Einwände erhob. Ich sah zu dem Fels und vergewisserte mich, daß der Rucksack noch da war, dann kletterte ich aus dem Gleiter. Siri rutschte über den Sitz und zog meinen Kopf zu ihrem. »Merin, Geliebter.« Ihre Lippen waren warm und offen, aber ich empfand nichts. Mein Körper war wie betäubt. Ich wich zurück und schob sie weg. Sie strich das Haar zurück und sah mich mit grünen Augen voller Tränen an. Dann hob der Gleiter ab, wandte sich nach Süden und verschwand im frühen Morgenlicht.
»Moment mal«, wollte ich rufen. Ich setzte mich auf einen Felsen und umklammerte die Knie, während sich mir ein trockenes Schluchzen entrang. Dann stand ich auf und warf den Laserschreiber in die Brandung unter mir. Ich zog den Rucksack heraus und kippte den Inhalt auf den Boden.
Die Schwebematte war fort.
Ich setzte mich wieder und war zu ausgelaugt, um zu lachen oder zu weinen oder wegzugehen. Die Sonne ging auf, während ich dort saß. Drei Stunden später saß ich immer noch da, als der große schwarze Gleiter der Schiffspolizei lautlos neben mir landete.
»Vater? Vater, es wird spät.«
Ich drehe mich um und sehe meinen Sohn Donel hinter mir stehen. Er trägt die blau-goldene Robe des Konzils der Hegemonie. Sein kahler Kopf ist gerötet und voll Schweißperlen. Donel ist dreiundvierzig, aber mir kommt er viel älter vor.
»Bitte, Vater«, sagt er. Ich nicke, stehe auf und wische mir Gras und Erde ab. Wir gehen gemeinsam zur Vorderseite der Gruft. Die Menge ist nähergerückt. Kies knirscht unter ihren Füßen, wenn sie sich unruhig bewegt. »Soll ich mit dir hineingehen, Vater?« fragt Donel.
Ich bleibe stehen und betrachte den gealterten Fremden, der mein Kind ist. Er hat wenig von Siri und mir in sich. Sein Gesicht ist freundlich, breit und von der Aufregung des Tages gerötet. Ich spüre die offene Ehrlichkeit in ihm, die bei manchen Menschen häufig die Stelle der Intelligenz einnimmt. Ich kann nicht anders, als diesen alternden Welpen von einem Mann mit Alón zu vergleichen – Alón mit den dunklen Locken, der schweigsamen Art, dem sardonischen Lächeln. Aber Alón ist seit dreiunddreißig Jahren tot, er wurde bei einem dummen Kampf niedergestochen, der nichts mit ihm zu tun hatte.
»Nein«, sage ich. »Ich gehe allein hinein. Vielen Dank, Donel.«
Er nickt und tritt zurück. Die Wimpel knattern über den Köpfen der unruhigen Menge. Ich wende meine Aufmerksamkeit der Gruft zu.
Der Eingang ist mit einem Handflächenschloß versperrt. Ich muß es nur berühren.
In den vergangenen paar Minuten habe ich ein Hirngespinst entwickelt, das mich vor der zunehmenden Traurigkeit im Innern und den äußerlichen Ereignissen schützen soll, die ich in die Wege geleitet habe. Siri ist nicht tot. In den letzten Tagen ihrer Krankheit hat sie die Ärzte und wenigen Techniker der Kolonie
Weitere Kostenlose Bücher